GO! Express & Logistik: Christian Storbeck über Lastenrad-Projekt in Berlin - Stau, Stress, Parkraummangel: City-Logistik mit Lastenrädern
Wie ein neuer Fisch im Teich, so komme er sich vor, erzählt Christian Storbeck von seinem Dasein als Leiter des Lastenradprojekts beim GO! Express & Logistik Kurierdienst in Berlin. Klar, im ersten Moment nehme man natürlich den Autokurieren angestammte Aufträge weg. Was er damit aber auch meint: „Es ist schwer, sich mit einem neuen Transportmittel zu etablieren, wenn das alte System ja läuft – noch“, schiebt er nach. Denn das, was er täglich in Berlin als Kurierfahrer erlebt – Stau, Stress, Parkraummangel – all das sorgt für ordentliches Knirschen im Getriebe. „Ich bin davon überzeugt, dass wir zusätzlich zu den konventionellen alternative Zustellformen brauchen. Lastenräder sind der ideale Link zwischen Radkurier und Autokurier“, so sein Credo. Und nicht nur seines. Schließlich ist das Lastenradprojekt bei GO! – entstanden im Rahmen des EU-geförderten, laufenden Projekts „Cycle Logistics Ahead“ – Chefsache. Und Storbecks Mission ist es, das Projekt voranzutreiben.
Sechs selbstständige Lastenradfahrer inklusive seiner selbst zählt die Berliner Niederlassung mittlerweile. Gut, bei 200 Dieselbetriebenen Transportern in der Tat noch „kleine Fische“. Doch bis zur Saison 2016 will Storbeck die Zahl verdoppelt haben. Womit man gleich bei einem, wenn nicht dem heikelsten Punkt des Themas Lastenrad wäre: „Es ist wirklich schwer, Personal dafür zu finden“, erzählt Storbeck. Für die Radkuriere ist das Investment in ein größeres Fahrzeug auf den ersten Blick nicht plausibel, die verdienen auch so ihr Geld. Autokurieren fehlt es am unabdingbaren sportiven Spirit und Wettertoleranz. Doch gerade unter den zahlreichen Kurieren soll er jetzt Infoabende veranstalten, bei denen der Umstieg aufs Lastenrad schmackhaft gemacht werden soll. Für den überzeugten Lastenradler Storbeck liegen die Vorteile auf der Hand: Geringere Anschaffungskosten, kaum Wartungskosten, entsprechend gute Verdienstmöglichkeiten, weniger Stress, geringer Platzbedarf im öffentlichen Raum, hohe Flexibilität und Wendigkeit in beengten Innenstädten.
GO! selbst versucht, den Umstieg so attraktiv wie möglich zu gestalten: Wer auf eines der Cargo Bikes umsattelt und mit GO!-Branding fährt, bekommt trotz kleinerer Werbefläche einen ebenso hohen Zuschuss wie die Autotransporter im Firmentrimm. „Ihre Werbewirksamkeit ist ja auch deutlich größer und das Image deutlich positiver“, begründet Storbeck. Womit die monatliche Leasingrate der von den Fahrern bisher gemieteten Fahrzeuge vom Typ „iBullitt“ fast schon amortisiert ist.
Der Chef war Radkurier
GO!-Chef Wolfgang Sacher war früher selbst als Radkurier tätig. Er ist visionär genug, über den Tellerrand hinaus zu blicken und den Lastenrädern eine Schlüsselrolle in der innerstädtischen Logistik zuzutrauen. Weil das Lastenrad alleine aber „noch keinen Staat macht“, ergänzen die GO!-Leute das Konzept jetzt um einen sogenannten Microhub in der Innenstadt. Damit könnte sich Praxisproblem Nummer zwei lösen lassen: „Wo kann man schon ein teures Lastenrad gefahrlos über Nacht abstellen? In Berlin schwierig“, meint Storbeck. Künftig sollen die Kuriere ihre Fahrzeuge daher im Mikrodepot einstellen können. Überhaupt wird erst mit diesem Zwischenlager für Storbeck ein richtiger Schuh draus. „Einmal am Tag kommt ein Transporter aus dem Zentrallager Siemensstadt mit bereits für die Lastenräder vorkonfektionierten Sendungen. Abends nimmt ein Transporter die übriggebliebenen oder eingesammelten Päckchen wieder mit.“ Mit dem Microhub sollten die Lastenradler auch Overnight-Sendungen übernehmen können. Mittelfristig will GO! eine „Kette“ an Depots aufziehen, um die Logistik per Lastenrad noch plausibler darzustellen.
Genug Fracht für alle da
Und der Konflikt mit den Autokurieren? „Mittlerweile hat sich das entspannt, erstens, weil das absolute Sendungsaufkommen steigt. Aber auch, weil sie unseren Wert in der Nische erkannt haben. Kein Autokurier ist wirklich scharf drauf, eine Sendung ein paar hundert Meter von der Charité zum Hauptbahnhof zu bringen. Das macht mehr Aufwand, als es Ertrag bringt. Ein Taxifahrer fährt auch nicht gerne Kurzstrecke“. Und genau in diese Nische rollen die Cargo Bikes. Mit der Umstellung auf das neue Kommunikationssystem „TASTA“, das in der gesamten GO!-Organisation den bisherigen Funk ersetzen soll, soll es dann auch eine gemeinsame Ausrufung der Aufträge geben. „Bisher ist das getrennt in Autound Radkuriere. Die Lastenräder können sehr wohl manchen Autoauftrag erfüllen, bekommen es oft aber nicht mit“, erzählt Storbeck. Es sei denn, die Disposition hat ein Augenmerk auf die Lastenradler und weist passende Aufträge zu.
Siemens Elektromotorenwerk: Arbeitswege sichern, Kollisionen verhindern
Und die Kosten? Die Anschaffung scheint verglichen mit einem Kastenwagen, der das Zwanzigfache an Volumen und etwa das Zehnfache an Nutzlast fasst, auf den ersten Blick aufwendig. Ein professionell konfiguriertes „Bullitt“-Lastenrad des dänischen Herstellers Larry vs. Harry mit elektrischer Umrüstung des Glashüttener Spezialisten Urban-e zum „iBullitt“ etwa kostet rund 5.000 Euro. „Muss ja nicht gleich ein 47-Ah-Doppelakku mit 250 Kilometern Reichweite sein“, schmunzelt Storbeck. Alleine der für GO! spezialangefertigte, im Firmenlook gestaltete Kofferaufbau – wasserdicht, nummerncode-gesichert – kostet etwa 800 Euro. „Wir transportieren oft hochwertige Ware und müssen für die Kunden sicherstellen, dass ihre Fracht in einem Lastenrad genauso gut aufgehoben ist wie in einem Auto.“ Storbeck führt gegenüber diesen Kosten ins Feld, dass die Technik des Lastenrads extrem robust ist und so gut wie keine Wartung benötigt, mithin fast keine Unterhaltskosten wie Sprit, Parkgebühren, Strafzettel anfallen, während diese beim konventionellen Kurierfahrzeug über die Laufzeit locker die Kaufsumme ausmachten.
Außerdem handelte es sich bei den Lastenrädern bisher um kleine Serien. „Das ändert sich. Der Anbieter Urban-e, der das iBullitt vertreibt, hat uns für dieses Jahr noch einen Nachlass signalisiert. Damit wird der Einstieg für einen selbstständigen Kurier deutlich attraktiver“, erzählt er. 15.000 Kilometer hat er selbst dieses Jahr runtergespult – bis auf neue Bremsbeläge ohne weitere Wartung. Apropos: Im Winterbetrieb hat sich der Vorderradantrieb seines Pedelec bewährt: „Das ist fast wie ein Allrad, hinten Beinkraft, vorn Elektrounterstützung“, schildert Storbeck. Als wahrer Lastenradbotschafter hat er sich auf seinem
Besserer Verdienst
Mittlerweile hat sich aber auch bei Kunden herumgesprochen, dass GO! Versand mit Lastenrädern anbietet. „Die Kunden schätzen das grüne Image und ordern vermehrt und bewusst ein Lastenrad“, erzählt Storbeck. Und immerhin: Mit Wilfried Rickmann gibt es auch einen ehemaligen Fahrradkurier, der sich von dem Konzept hat überzeugen lassen und seit Februar eines der GO!-iBullitts pilotiert. Es musste sich erst an das trägere Handling gewöhnen und dass man das Vorderrad nicht sieht. Jetzt rollt er vielleicht nicht mehr so cool durch die Straßen von Berlin, aber das sei ihm ohnehin nicht so wichtig. Die 25 km/h seines iBullitt sind meist mehr als ausreichend – er kommt auch damit oft schneller durch als die Autokurierkollegen. Wichtiger dagegen: „Ich kann ganz andere Sendungsarten annehmen und transportieren. Das ist eine deutliche Erweiterung meines Auftragsspektrums“, erzählt der junge Mann, der prototypisch auch in seiner Freizeit passionierter Radfahrer ist.
Storbeck bestätigt: „Damit habe ich von 7:30 bis 12:00 Uhr mehr verdient als ein Radkurier bis zum Nachmittag“. Zumal man sich gegenüber den Autokurieren viel Zeit spare. „Gerade in Berlin mit den verschachtelten Hinterhöfen, da wirst du als Autokurier halb verrückt. Und erst der Stau bis dahin...“ Als Kleinunternehmer hat Rickmann ein iBullitt über 36 Monate bei der Freiburger Firma LeaseRad geleast, am Ende der Laufzeit kann er das Rad für zehn Prozent des Anfangswerts ablösen. Dass er es nicht gleich gekauft hat, liegt natürlich an der für ihn hohen Investitionssumme. Wobei Storbeck das ebenfalls relativiert: Ein selbstfahrender Kurier im Autobereich habe trotz deutlich größerer Beträge eigentlich selten ein Finanzierungsproblem. Berufsbild, Hersteller, Bank, da gebe es eingespielte Prozesse und Selbstverständlichkeiten. „Wenn heute ein Gründer zu einem Bankberater sagt, ich will mich selbstständig machen – mit einem Fahrrad – erntet er erstmal Gelächter“, schildert Storbeck.
Apropos eingespielte Prozesse: Bei den Lastenrädern sei anfangs vieles unklar gewesen. Tägliche Abläufe mussten erst für Cargo- Bikes optimiert werden. Über die vielen, kleinen Schritte hat man bei GO! detailliert Buch geführt. „Jetzt gibt es eine Anleitung, die wir im Prinzip auf jeden Standort übertragen können“, freut sich Storbeck. Das Projekt ist also strategisch und langfristig angelegt. Man wolle bei GO! eben nicht mehr nur Teil des Problems, sondern mit den Lastenrädern auch Teil der Lösung sein, bringt Storbeck final auf den Punkt. (Johannes Reichel)
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