Witron Logistik + Informatik GmbH: Automatisierung von Lager- und Kommissionierprozessen für Onlinehandel-Boom: Herausforderung Onlinehandel

Der E-Commerce boomt in Deutschland und stellt herkömmliche Logistikanlagen vor ganz besondere Herausforderungen.

Symbolbild LOGISTRA (Foto: T. Schweikl)
Redaktion (allg.)

Die Prognose ist eindeutig: „Bis 2020 gehen wir von weiterhin explosionsartigem Wachstum im Onlinehandel aus.“ Der Mann, der diesen kernigen Satz von sich gibt, muss es wissen: Helmut Prieschenk ist Geschäftsführer der Witron Logistik + Informatik GmbH, Parkstein, einem auf Logistiksysteme für den Handel spezialisierten Unternehmen. 85 Prozent seiner Kunden stammen nach seinen Worten aus den Bereichen Handel und Distribution. Das Unternehmen boomt seit Jahren, indem es für seine Kunden Lager- und Kommissionierprozesse automatisiert.
Das Problem, das Prieschenk mit dem Onlinehandel hat, ist ebenso einfach wie zentral: „Bislang verdient damit niemand so richtig Geld.“ Hohe Retourenquoten, geringe Auftragsgrößen, breite Artikelspektren und die geforderte Liefergeschwindigkeit sind nur einige der Probleme, mit denen sich seine Kunden herumschlagen. Dabei ist noch nicht einmal jedem klar, was die Käufer eigentlich wollen und was nicht. „Die Leute wissen manchmal nicht, ob sie etwa einen Same-Day-Delivery-Service anbieten, weil es die Konkurrenz auch tut oder weil es der Konsument wirklich fordert“, erzählt der Logistikexperte.
Schnell in die Kosten
Und in der Alles-sofort-Mentalität sieht Prieschenk auch eines der Kernprobleme: „Weil die Kunden am Wochenende Zeit haben zu bestellen, sind die Orderlines unserer Kunden im Onlinegeschäft montags teilweise um den Faktor zwei oder drei größer als am Freitag.“ Um aber auch montags sofort liefern zu können, müsste jede Automatisierung auf den starken Wochenstart hin dimensioniert sein und wäre für den Rest der Woche nicht ausgelastet. Für Prieschenk führt deshalb langfristig kein Weg daran vorbei, den Kunden für sofortige Lieferungen zur Kasse zu bitten beziehungsweise den Kostenvorteil gleichmäßig ausgelasteter Anlagen an den Kunden weiterzugeben. Alternativlos ist für Witron auch der Trend zur Automatisierung im Handel und damit auch im E-Commerce. „Wenn man alles manuell macht, ist es unmöglich, mit E-Commerce Geld zu verdienen“, ergänzt Firmengründer Walter Winkler seinen Geschäftsführer. Die Prozesse seien dann zu aufwendig und zu fehleranfällig. „Und ein Kunde im Onlinegeschäft verzeiht vieles, aber keine Fehler in der Kommissionierung.“ Zusammen mit seinen Ingenieuren hat Winkler deshalb zwei automatisierte Kommissionierlösungen für den Handel entwickelt: das „Order Fulfillment System“ (OFS) für den Non-Food-Bereich und das „Food Multi Channel“ (FMC) für das Handling von Lebensmitteln im Multichannel-Bereich.
Das OFS etwa vereint die drei Untersysteme „Car Picking System“ (CPS) für Person-zur-Ware- Anwendungen, das „Order Picking System“ (OPS) in Warezur- Person-Bereichen und das „Dynamic Picking System“ (DPS) als teilautomatisierte Mischlösung. Neu im Witron-Portfolio ist keines dieser Untersysteme, doch richtig kombiniert und mit einem einheitlichen Behältersystem versehen sollen sie nun auch den Onlinehandel gewinnbringend automatisieren. „Jeder Artikel wird künftig nur noch einmal angefasst und dann gleich in das richtige Paket gelegt und jeder Kunde wird mit nur einem Paket beliefert“, verspricht Winkler. Das FMC-Konzept für den Lebensmittelhandel umfasst ebenfalls mehrere Strategien und Funktionalitäten, um alle Vertriebswege im Lebensmitteleinzelhandel mit Ware zu versorgen: Abgebildet werden können neben der Filialbelieferung auch Konzepte wie „Click & Collect“ (online bestellen, in einer Filiale abholen), „Drive“ (spezielle Abholzentren für Onlinebestellungen), „Pick-up-Point“ (individueller Übergabepunkt), „Darkstore“ (Online-Supermarkt mit regionaler Auslieferung) oder „Home Delivery“.
Alles ist möglich
Welche dieser E-Commerce-Visionen sich in Deutschland letztlich durchsetzen wird, ist noch völlig offen. In einigen Ländern haben sich die „Drives“ bereits als erfolgreiches Geschäftsmodell erwiesen. Das Prinzip ist einfach: Der Kunde bestellt seine Ware im Internet via PC, Tablet-PC oder Smartphone, am Arbeitsplatz, zu Hause oder von unterwegs und holt diese noch am selben Tag – vielleicht auf seinem Weg von der Arbeit zurück nach Hause – an einer Abholstelle ab. Digital bezahlt, verpackt in eine Einkaufstüte und von einem freundlichen Drive-Mitarbeiter in den Kofferraum geladen. So betreibt beispielsweise in Frankreich der Marktführer E.Leclerc bereits über 500 dieser Verkaufsstellen in einer Größenordnung von 200 bis 1.600 Quadratmetern. Auch in anderen europäischen Ländern sowie in Nordamerika erfreut sich diese Cross-Channel-Variante wachsender Beliebtheit. In einer weiteren Variante – dem Darkstore – bekommt der Kunde seine Einkäufe sogar bequem aus einem regionalen Umschlagpunkt nach Hause geliefert.
Die Einfachheit des Prinzips endet beim Blick in die Logistik. Denn damit die richtige Ware bedarfsgerecht und zur richtigen Zeit in der richtigen Qualität zur Verfügung steht, bedarf es im Hintergrund gezielter logistischer Prozesse, die das neue „DDS“-System (Drive Darkstore System) von Witron wirtschaftlich umsetzen soll. Die Warenversorgung der Drives und Darkstores erfolgt dabei über das Zentrallager des Lebensmitteleinzelhändlers. Hier werden die Einzelartikel zentral an ergonomischen Arbeitsplätzen für mehrere Drives beziehungsweise Darkstores in Behälter umgepackt und sämtliche Verpackungsabfälle bereits hier entsorgt. Anschließend werden die Behälter automatisch auf Paletten gestapelt und zum Drive oder zum Darkstore transportiert. Dort wird depalettiert und in ein automatisches Kleinteilelager (AKL) eingelagert. Um das komplette Artikelsortiment – Trocken, Frische, Obst + Gemüse, Tiefkühl – platzsparend lagern zu können, ist das AKL in unterschiedliche Temperaturzonen aufgeteilt und modular an die Größe und den Durchsatz jedes einzelnen Drives oder Darkstore angepasst.
Je nach DDS-Typ erfolgt der Versand unterschiedlich: Im Drive identifiziert sich der Kunde an der Abholstelle, anschließend werden alle zu einer Bestellung gehörenBilder: den Auftragsbehälter aus dem Auftragskonsolidierungspuffer im jeweiligen Bereich mechanisch und just-in-time ausgeschleust, von einem Drive-Mitarbeiter auf einen Rollcontainer gestellt und am Kundenfahrzeug in das Fahrzeug verladen. Die leeren Lagerbehälter schleust der Drive-Mitarbeiter in den Systemkreislauf zurück. Im Darkstore erfolgt der Versand zumeist durch Lieferdienste. Die ungekühlten Auftragsbehälter werden direkt nach der Kommissionierung auf einen Dolly gestapelt und automatisch im Versandbereich tourensortiert bereitgestellt. Gekühlte und Tiefkühlbehälter werden nach der Kommissionierung bis kurz vor Versand im jeweiligen Temperaturbereich zwischengelagert. Bleibt die Frage, welche dieser Systeme sich letztlich auch bei uns durchsetzen werden – es kommen spannende Jahre auf den Handel zu.
Tobias Schweikl

◂ Heft-Navigation ▸

Artikel Witron Logistik + Informatik GmbH: Automatisierung von Lager- und Kommissionierprozessen für Onlinehandel-Boom: Herausforderung Onlinehandel
Seite | Rubrik