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Bereit fürs große Rad

Der Name ist Programm beim 2019 gegründeten Start-up Fairsenden, das nicht weniger will, als die Quadratur des Kreises in der Lieferlogistik zu schaffen: Wachsendes Sendungsaufkommen, aber niedrigere Emissionen. Dafür trimmen die Berliner alle Glieder der Lieferkette konsequent auf nachhaltig, von der Software eines E-Commerce-Tools bis zur Hardware der E-Cargobikes.

Serien-Rad: Das BAYK BRING S versieht bei Fairsenden bisher tadellose Lieferdienste und ist seit gut anderthalb Jahren eingeflottet. Bild: BAYK
Serien-Rad: Das BAYK BRING S versieht bei Fairsenden bisher tadellose Lieferdienste und ist seit gut anderthalb Jahren eingeflottet. Bild: BAYK
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Redaktion (allg.)

Läuft“ bei Fairsenden in Berlin oder denglisch: Der „Proof of Concept“ ist erbracht. Gründer und Geschäftsführer Markus Schwarz sieht das Liefer-Start-up auf dem Sprung zur Skalierung. Wobei man erst mal Deutschland, dann aber durchaus auch europäische Großstädte für das nachhaltige Lieferkonzept im Blick hat. Das ermöglicht es Händlern oder Herstellern, eine komplette,konsequent auf „grün“ getrimmte Versandplattform inklusive Routenplanung und -führung an ihren eigenen Onlineshop anzudocken. Soft- und Hardware gehen eine auf Effizienz abgestimmte Allianz ein, mit jeder Menge Individualisierungsmöglichkeiten für die Kunden, etwa bei der Wahl der Kommunikationsmittel.

Denn neben dem eigenen Online-Tool im Hintergrund, das den Kunden etwa mit selbstgewählten Zwei-Stunden-Lieferfenstern mit Same-Day- oder Next-Day-Zustellung, Lieferfensteränderung bis 30 Minuten vorher, „Zwei-Mann-Service“ bei Stückgut oder Echtzeitverfolgung entgegenkommt, braucht es am analogen Ende der digitalen Lieferwelt echte Lieferfahrer mit echten Liefertools, in diesem Falle E-Vans und E-Cargobikes. Zentral ist ein stetig verfeinerter Algorithmus, der bei jedem Klick eines Kunden schon mal den richtigen „Kanal“ nebst passendem Transportmittel vorsortiert.

So überstellt man etwa für den Second-Hand-Modehändler „Save your wardrobe“ oder Snocks die Kleidung. Bestens fügt sich auch in die umweltbewusste Auftraggeberschaft der Öko-Lebensmittler Etepetete, Querfeld oder Kale & Me, ein Spezialist für Saftkuren. Für den schwer angesagten Second-Hand-Elektronikanbieter Rebuy liefert man Smartphones und Tablets – oder holt die von Kunden auf der Plattform eingestellten Exemplare, inklusive vorbereiteter Verpackung und Label ab.

Rest wird kompensiert

Klimaneutral, versteht sich, mindestens, wie Fairsenden-Manager Ben Deutscher betont: Was sich heute noch nicht vermeiden lässt, wird also klimakompensiert. Das Ideal ist aber emissionsfreier Betrieb und Belieferung, dabei konsequent Downsizing und nach dem Motto: Am besten und emissionsärmsten sind die Wege, die gar nicht entstehen. Heißt: weg vom Umland-Hub-Verkehr mit weiten Strecken hin zu dezentralen Mikrodepots mit kurzen Wegen.

Und wenn sie entstehen, dann gilt ein „Subsidiaritätsprinzip“ von klein nach groß. Welches Gefährt genügt für welchen Zweck? Sowieso werden Wege zum einen per Routenplanung optimiert. Und zum anderen mittels hoher Zustellquoten minimiert, mit präziser Kommunikation und motivierten Fahrern.

Die Idee klingt nach Quadratur des Kreises: Den Lieferboom nachhaltig gestalten, konkret: steigendes Sendungsaufkommen, aber sinkender CO2-Ausstoß. Der Name ist also Programm. Wobei das „Fair“ sowohl für Kunden als auch die festangestellten Fahrer und die Umwelt gilt: Auf der Homepage läuft daher eine CO2-Einsparuhr mit, seit Gründung des Unternehmens im Jahr 2019.

Dass der Trend zur Onlinebestellung wieder nachlässt, das glauben die beiden Gründer definitiv nicht. Man peilt ganz klar auf die wachsende Schar von E-Commerce-Kunden und Händlern. Und hier die anspruchsvollen: Denn klar könne man mit diesen Standards nicht mit den preiswerteren großen KEP-Diensten mithalten. Aber man fühlt sich doch selbstbewusst den „Preis wert“ für das, was man bietet: schnell, termintreu, klimaneutral.

In vielen Dingen Neuland

Und weil es hier oft noch keine Lösungen gab, die den hohen Umweltansprüchen der Gründer genügten, müssen Schwarz und Deutscher zum Prinzip „Do it yourself“ greifen. So entstand auch die Zusammenarbeit mit dem E-Cargobike-Start-up Bayk aus Regensburg, das für die „Fairsender“ die damals neu entwickelten, zweispurigen Liefer-Trikes mit professionellem und geräumigem 1,5-Kubik-Humbaur-Flex-Box-Koffer stellt, die seit über einem Jahr zuverlässig Dienst tun. Anfängliche Versuche mit ONO-Bikes hat man wieder eingestellt, die Option mit dem Wechselkoffer brauchen die „Fairsender“ in ihren aktuellen Abläufen nicht. „Das ist vielleicht mal was für die Zukunft, da geht es aber um Nuancen der Optimierung der Prozesse“, meint Deutscher. Im Augenblick genügen die elektrisch unterstützten Bikes mit festem Koffer, deren Akkus unterflur verbaut sind und für zwei Lieferdurchläufe ab Mikrodepot in einem Pankower Gewerbegebiet genügen. Ist der Akku dann doch mal leer, nimmt der Fahrer ein neues Bayk.

Für dessen Bereitstellung im Berliner Depot sorgt Heyro Korn als Mechaniker. Er verleiht dem Bayk bisher gute Zuverlässigkeitsnoten, hat auch an dem „Prinzip Kette“ nicht viel zu beanstanden. Außer dass die Umlenkrolle unter der Pedalerie ab zu so mal den „Bordstein küsst“.

Die Wartung des Antriebs ist schnell erledigt, die Bereiche am Rad gut zugänglich und die separaten Ketten an die beiden, von kräftigen Heinzmann-Motoren angetriebenen Hinterrädern laufen so gerade, dass sie selten verschleißen. Korn sieht jetzt allerdings den Moment nach einigen Tausend Lieferkilometern erreicht, wo sich die Dauerhaltbarkeit des Konzepts bewähren muss. Er wünscht sich generell mehr Wettbewerb bei den Komponenten und würde sich gerne ein paar Akkus auf Reserve legen für Notfälle. Allein: Das schnelle Wachstum, gepaart mit Lieferengpässen in der allgemeinen Akku-Mangelwirtschaft erlauben es nicht.

Und man muss quasi nehmen, was man kriegen kann. Dafür sind Service und Support des Herstellers gut und prompt, sodass Ben Deutscher im Gegensatz zu frühen Pionieren der Lastenradlogistik konstatiert: „Betriebswirtschaftlich funktioniert das Geschäft mit den Bikes – sowohl finanziell als auch von den Prozessen.“

Drei E-Vans im Einsatz

Schwerere und weitere Fracht befördert man zudem mit drei Elektro-Transportern vom Typ Nissan eNV200 sowie andernorts auch VW e-Crafter, mit denen man sehr zufrieden ist. Kleinere Wartungs- oder Pflegearbeiten erledigt man selbst; „Masterfahrer“ René Schneider, der auch die neuen Bikekuriere anlernt und selbst als Springer fährt, kümmert sich darum. Wobei die normale AC-Ladeinfrastruktur am Standort schon mal den Rahmen sprengt: Mit dem 6,6 kW-Bordlader hängt der E-Van sieben Stunden am Strom, bis er wieder voll ist. „Aber eine Schnellladesäule lohnt sich für uns halt auch noch nicht“, meint Deutscher dazu.

10.000 Pakete schleust man durch das Flachdachgebäude in der Storkower Straße nahe am Volkspark Prenzlauer Berg maximal. Das höchste Sendungsaufkommen wird am Mittwoch erreicht, sonst – speziell montags – weniger. Die Immobilien zu finden sei eine Herausforderung, meint Deutscher. Aber über Kontakte und ein lokales Netzwerk findet sich doch oft ein geeigneter Standort.

Für die Zukunft denkt man nicht nur national, sondern über die deutschen Grenzen hinaus. Und sieht hier tendenziell eher bessere Bedingungen für nachhaltige Stadtlogistik. Schließlich sei etwa in den Niederlanden oder Dänemark die Radverkehrsinfrastruktur oder auch die Elektrifizierung generell weiterentwickelt. Aber auch mit neuen Services will man punkten, etwa das dezentralisierte Ship-from-Store-Versandkonzept mit schnellem „Click&Deliver“-Dienst zur „Wiederbelebung“ lokaler Händler.

Bundesweites Netzwerk

Natürlich hat man auch die Hub-to-Micro Hub- oder Hub-to-Hub-Transfers oder die Transporte, die man über das Fairsenden-Netzwerk bundesweit organisiert, im Blick: Solange man hier noch mit Diesel-Lkw operieren muss, kompensiert man die Emissionen oder erwägt Lösungen wie LNG-Antriebe. Mittelfristig schwebt Schwarz aber auch bei schwereren Trucks vor, sie vollständig emissionsfrei zu betreiben, wenn es sein muss, eben „Do it yourself“. Fahrzeuge wie den Volta-Truck etwa findet Schwarz hochspannend, auch wenn man auf das marktreife Fahrzeugangebot im Langstreckenbereich noch warten muss.

Das Konzept von Fairsenden mit seinem Mix aus Produkt, Operations und Software jedenfalls funktioniert bisher im B2B-Bereich. Aber man kann sich Fairsenden durchaus auch als direkte „ConsumerBrand“ im Logistiksektor vorstellen. „Das Team freut sich, die Smart City Logistics 4.1 für einen besseren Service, für weniger Verkehr und lebenswertere Städte, auf das nächste Level zu bringen und die digitale Revolution der Citylogistik anzuführen“, verkündet Gründer Markus Schwarz.

Johannes Reichel

Initiative: LOGISTRA City Check

Urbanisierung, Umweltzonen, Klimawandel – in den Städten steigt der Handlungsdruck. Immer mehr Unternehmen machen sich Gedanken, wie sich urbane Logistik geräusch-, abgasarm und effizient organisieren lässt. Deshalb berichten wir beim LOGISTRA City Check über nachhaltige Fahrzeuge und Lieferlösungen im städtischen Umfeld – vom Lastenrad bis zum Sattelschlepper oder Mikrodepots. Sie haben ein nachhaltiges Fahrzeug oder eine clevere Lösung oder kennen innovative Firmen? Machen Sie uns einen Vorschlag für den LOGISTRA City Check: feedback@logistra.de

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Artikel Bereit fürs große Rad
Seite 18 bis 21 | Rubrik Märkte & Trends
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