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Orten Electric-Trucks: „Man muss scheitern dürfen“

Aktuelle Fragen zur E-Mobilität diskutierten Experten und Anwender auf einem Event in Bernkastel-Kues. Der Mosel-Ort ist Standort von Orten Electric-Trucks und damit eine Keimzelle angewandter E-Technik.

Orten-Betriebsleiter für E-Fahrzeuge Wilhelm Kemmnitz (links) beantwortete Fragen zur Technik direkt vor Ort an den Ausstellungsfahrzeugen. Bild: Orten
Orten-Betriebsleiter für E-Fahrzeuge Wilhelm Kemmnitz (links) beantwortete Fragen zur Technik direkt vor Ort an den Ausstellungsfahrzeugen. Bild: Orten
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Redaktion (allg.)

Ausrichter Robert Orten ist nicht nur Produzent praxisnah angelegter E-Transporter, sondern auch Querdenker. Er gilt als Pionier des „Retrofit“-E-Nutzfahrzeugs. Das heißt, er macht aus einem ausgedienten Diesel à la Sprinter, Crafter und T6 praktisch einen neuen E-Transporter. Den Antriebsstrang bezieht Orten von Efas, einem Unternehmen, das in Zell bei Stuttgart komplette Antriebssätze für leichte bis mittlere E-Transporter konzipiert und einbaufertig zusammenstellt.

Achim Schröder, Vertriebsleiter bei Efas, nutzte nun den Rahmen des jährlich stattfindenden E-Symposiums bei Orten, um auf eine wichtige Neuheit hinzuweisen. Während man mit Umrüstungen gebrauchter Paketdienstfahrzeuge zu reinen E-Mobilen seit 2009 kontinuierlich wachsen konnte, will man sich nun auch Neufahrzeugen widmen.

Das Problem bislang war, einen Transporterhersteller zu finden, der Fahrgestell samt Achsen und Kabine ohne Triebstrang zu liefern bereit ist. Mit dem russischen Hersteller GAZ gelang dies nun: GAZ liefert an Efas und Orten neue Fahrgestelle, die beide Unternehmen zu vollwertigen E-Transportern vervollständigen. Während der 3,5-Tonner ET 35 EF als Fahrgestell bereits für rund 88.000 Euro (netto) zu kaufen ist, soll ein Kastenwagen in Kürze folgen.

Wenig Mut zum Risiko

Und wohin geht die Reise sonst in Sachen E-Mobilität beim Nutzfahrzeug? „Man muss auch scheitern dürfen“, sagt einer, der mit seinem StreetScooter bekanntermaßen nicht scheiterte. Prof. Dr. Achim Kamper von der RWTH Aachen beklagte die arge Zurückhaltung beim Thema Risikokapital. Hierzulande herrsche „Panik und Angst“, wenn es darum gehe Ideen in Realität umzusetzen. In das gleiche Horn stößt Prof. Dr. Jörn Hendrich Block von der Uni Trier. Er ist Sprecher der Forschungsstelle Mittelstand und sagt: „Nur Forschung und Erfindung reicht nicht!“ Man müsse aus seinen Erfindungen auch marktfähige Produkte machen.

Wolfgang Wüllhorst, Leiter des Fuhrparkmanagements der Berliner Stadtreinigung (BSR), geht die Transformation hin zu alternativen Antrieben pragmatisch an. „Wir sind so etwas wie die ‚Angstgegner‘ der etablierten Fahrzeughersteller“, erklärt er. Warum? Weil Wüllhorst für seinen Betrieb Fahrzeuge fordert, die sich auch rechnen. Alles, was zu teuer ist, zu wenig gefördert wird oder nicht funktioniert, hat bei ihm keine Chance.

Pionierarbeit leistete die BSR mit der Nutzung von Methan aus seiner eigenen Biogasanlage, die allein 165 CNG-Abfallsammel-Lkw im Fuhrpark klimaneutral antreibt. Vollelektrisch fängt die BSR nun mit Papierkorb-Sammelfahrzeugen auf Sprinter-Basis an, nutzt aber auch – dem Retrofit-Gedanken folgend – vorhandene Varios, die nachträglich elektrifiziert werden (BPW/ Paul Passau).

Einer, der noch weiterdenkt, ist Rolf Meyer, stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats und Gesellschafter der Meyer & Meyer Holding. Die auf Bekleidung spezialisierte Spedition ist ein Pionier bei alternativen Antrieben und hat etliche E-Lkw im Fuhrpark. Dem Problem geringer Reichweiten entgegnet Meyer mit „Route Charging“: Entweder wird an einer eigenen Relaisstation am Netz aufgeladen oder die Batterien werden getauscht.

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eMobilität beginnt mit ganzheitlichem Lademanagement – TruckCharge.

Trotz der 1,2 Tonnen schweren Batterien sei Nutzlast bei Kleidertransporten kein Thema, so Meyer. Und er beklagt das schwache Interesse der Serienhersteller an der Bereitstellung von E-Lkw. „Den Bedarf an 2.000 E-Trucks zu decken, ist für die großen OEMs offenbar nicht interessant“, meint Rolf Meyer. Es fehle an Lärmverordnungen, wie sie etwain Holland längst Standard seien. Verkehrsströme zu entzerren, ist eines der Hauptanliegen von Meyer. So habe man zum Beispielfür die Direktanlieferung in Berlin den relativ zentral gelegenen Westhafen wiederentdeckt. Von hier aus verkürzten sich nicht nur die Auslieferstrecken im Vergleich zu Hubs im Berliner Umland. Es könnten auch, so Meyer, rund die Hälfte der dafür nötigen Fahrzeuge eingespart werden.

Einer, der sehr viel von Stromtankstellen versteht, ist Hartmut Bauer von der EGS AG. Bauer rechnet vor, dass etwa der Stromverbrauch für einen VW e Golf bei 20.000 Kilometern im Jahr (3.460 kWh) bereits in die Richtung des Jahresstromverbrauchs einer vierköpfigen Familie (fast 5.000 kWh) geht. Auch den künftigen Strombedarf thematisiert Bauer: Werden bis 2020 gerade mal zwei Terawatt für E-Pkw und Transporter benötigt, steige der Bedarf an elektrischer Leistung bis 2035 auf 70 Terawatt. Diese Menge entspreche etwa einem Achtel des Gesamtenergieverbrauchs in Deutschland, die zwei Terawatt heute entsprechen also gerade mal 0,4 Prozent vom Gesamtenergieverbrauch.

Die Frage ist berechtigt: Wo soll diese zusätzliche Strommenge in der Zukunft herkommen? Die Netze stießen in der Spitzenlast bereits an ihre Grenzen. Zur Vermeidung von drohenden Blackout-Risiken plädiert Bauer daher für eine dezentrale Stromspeicherung mit Batterie- und Wasserstoffspeichern. Sein neuestes Projekt heißt „Elofox“ und widmet sich der Idee, mobile Ladestationen dorthin zu bringen, wo sie gebraucht werden. Das Unternehmen plant daher die „Mobile Powerbank 4.0“, im Grunde ein Transporter mit einem großen Akku auf der Ladefläche. Der könne so nicht nur Pannenhilfe leisten, sondern auch „Rendezvousladen“ ermöglichen, also das Aufladen auf Bestellung per App.

Technisch sehr weit

Fazit des Orten-Symposiums: Technisch ist die Branche sehr weit, der E-Transporter mit 3,5 bis 5,5 Tonnen Gesamtgewicht funktioniert im Rahmen seiner Reichweite. Aber: leider nur zu hohen Einstandskosten, die in etwa beim doppelten Einstandspreis im Vergleich zu einem Dieselfahrzeug liegen. Mit exakt dem Bedarf angepassten E-Motoren, skalierbaren Batteriepacks und günstigen Basisfahrzeugen ist die Branche bemüht, die Preise zu senken. Offenbar noch weit von einer Lösung entfernt sind die Fragen nach dem bis 2035 und darüber hinaus steigenden Strombedarf sowie der stabilen Netzstruktur. rod

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Artikel Orten Electric-Trucks: „Man muss scheitern dürfen“
Seite 30 bis 31 | Rubrik Test + Technik
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