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Allianz: Gefahr durch Last- und Lieferverkehr - mit Assistenz vermeidbar

(dpa/jr) Groß gegen Klein: Bei tödlichen Verkehrsunfällen in Städten sterben überdurchschnittlich oft ungeschützte Fußgänger und Radfahrer. Viele Unfälle wären mit bereits vorhandener Technik vermeidbar. Die Allianz fordert eine bessere Ausstattung von Lkw und Vans. Und: Die Systeme sollten nicht deaktivierbar sein. Vision Zero weit entfernt.

Viel zu häufiges und trauriges Bild in Städten: Ein weißes Fahrrad ("Ghostbike") mit einem Textschild, Blumen und einer Grabkerze an einer Kreuzung in der Nürnberger Innenstadt, erinnert an einen im Straßenverkehr getöteten Radfahrer. | Foto: dpa/Daniel Karmann
Viel zu häufiges und trauriges Bild in Städten: Ein weißes Fahrrad ("Ghostbike") mit einem Textschild, Blumen und einer Grabkerze an einer Kreuzung in der Nürnberger Innenstadt, erinnert an einen im Straßenverkehr getöteten Radfahrer. | Foto: dpa/Daniel Karmann
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Redaktion (allg.)
(erschienen bei VISION mobility von Johannes Reichel)

Eine bessere Sicherheitsausstattung von Lkw und Lieferwagen könnte nach einer Analyse der Allianz-Verkehrsforscher den Unfalltod vieler Fußgänger und Radfahrer verhindern. Ein Drittel der Unfälle zwischen Lastwagen und Fußgängern wäre vermeidbar, wenn alle Lastwagen mit bereits verfügbaren Assistenzsystemen ausgestattet wären, argumentieren die Fachleute des Allianz Zentrums für Technik (AZT) in ihrer neuen Untersuchung. Maßgeblich zu Unfällen mit Lkw trägt demnach das schlechte Sichtfeld der Fahrer bei, Abhilfe schaffen könnten aktiv bremsende Abbiegeassistenten. Bei Lieferwagen und Kleintransportern ist den Angaben zufolge vor allem das Rückwärtsfahren riskant, aber ähnlich wie bei Lkw sind auch Unfälle beim Rechtsabbiegen häufig. Lieferwagen sind laut Allianz im Vergleich zu anderen Fahrzeugen überdurchschnittlich häufig an Unfällen beteiligt.

«Rund 40 Prozent der tödlichen Verkehrsunfälle in Europa ereignen sich in Städten; 70 Prozent dieser Opfer sind Radfahrer, Nutzer anderer Zweiräder oder Fußgänger, darunter Kinder und ältere Menschen», sagte Vorstandsmitglied Klaus-Peter Röhler.

Lieferwagen sollten demnach mit den gleichen Sicherheitssystemen ausgestattet werden wie Autos. Für Lkw fordern die AZT-Fachleute neben Abbiegeassistenten niedrigere Fahrerkabinen und Manövrierfenster, die das Sichtfeld der Fahrer vergrößern sollen. Die Allianz stellte ihren alljährlichen «Autotag» im AZT in diesem Jahr unter den Titel «Groß gegen Klein». Grundlage der AZT-Auswertung war die Detailanalyse von 700 innerörtlichen Lkw- und Lieferwagenunfällen der vergangenen Jahre mit verletzten oder toten Fußgängern, Rad- und Motorradfahrern. Dabei trifft die Schuld keineswegs immer nur die Lastwagenfahrer: Bei einem Drittel der Lkw-Unfälle waren demnach die verunglückten Fußgänger mitverantwortlich, bei den Fahrradfahrern waren es 20 Prozent. Allerdings ist auch wichtig zu sehen, dass jeder zweite Lkw-Fahrer sein Assistenzsystem ausschaltet. Begründung: "Unpraktisch, störend oder unnötig".

"Was nützen die besten Fahrerassistenzsysteme, wenn diese nicht eingeschaltet sind", kritisiert Christian Suhr, Geschäftsführer des Allianz-Zentrums für Technik.

Ein Faktor sind leider auch Ablenkungen wie das Handy: Das sei gerade bei Lieferwagen relevant, weil die anders als klassische Postautos nicht von Haus zu Haus führen, sondern auf dem Mobilgerät nach der Adresse sehen, wie Lucie Bakker, Schadenvorständin der Allianz Versicherung AG gegenüber der SZ berichtet.

Die Städte im Fokus als Unfall-Hotspots

Für schnelle Erfolge sei es sinnvoll, den Blick auf den Stadtverkehr zu richten: "Städte sind Unfall-Hotspots", sagt Röhler. "Rund 40 Prozent der tödlichen Verkehrsunfälle in Europa ereignen sich in Städten; 70 Prozent dieser Opfer sind Radfahrer, Nutzer anderer Zweiräder oder Fußgänger, darunter Kinder und ältere Menschen - sie benötigen besseren Schutz! Der Titel dieses 12. Allianz Autotags - Groß gegen Klein - klingt bitter, aber er ist wahr. Es geht darum, die schwächsten Verkehrsteilnehmer vor schweren Fahrzeugen zu schützen." Vor allem Fahrzeuge von Paket- und Lieferdiensten sind nach einer aktuellen Auswertung des Allianz Zentrum für Technik (AZT) auffällig:

"Als Flottenversicherer hat die Allianz folgende Erkenntnisse gewonnen: Kleintransporter, die von diesen Zustelldiensten genutzt werden, haben eine etwa 20 Prozent höhere Schadenhäufigkeit als herkömmliche Fahrzeuge, sagt Röhler. "Sie verursachen auch häufiger Personenschäden. Dazu tragen der Zeitdruck der Fahrer, die vielen Stopps, Manöver im städtischen Umfeld und die Ablenkung durch die für die Zustellung erforderlichen digitalen Geräte bei. Röhler kritisiert, dass Kleintranstransporter trotz der EU- Richtlinie "General Safety Regulation 2" (GSR2), die seit Juli 2024 für Neufahrzeuge gilt, aktuell noch nicht die gleiche Anzahl von Sicherheitssystemen an Bord haben wie Pkw."

Vans sollten mindestens die gleichen Sicherheitssysteme wie neue Pkw haben, da sie die gleichen stark frequentierten städtischen Straßen nutzen", sagt er. Für schwere Lkw und Busse müsse die GSR2 ebenfalls so bald wie möglich nachgebessert werden, laut Röhler: Zwar seien einige warnende Fahrerassistenzsysteme für neu zugelassene Lkw mittlerweile verpflichtend, diese genügten aber nicht, um beispielsweise Kollisionen mit Fahrradfahrern und Fußgängern im toten Winkel verlässlich zu vermeiden. "Warnende Systeme reichen nicht aus", sagt Röhler. "Effektive Systeme können Verkehrsteilnehmer im toten Winkel erkennen und sofort eine Notbremsung auslösen."

"In erster Linie geht es bei unseren Bemühungen um mehr Sicherheit im Straßenverkehr darum, Leben zu retten und Leid zu mindern", sagt Röhler. Ohne diese Grundüberzeugung zu schmälern, träfe ein weiteres Argument zu: "Die Vermeidung von Unfällen - auch von leichten Unfällen ohne Personenschaden - bringt einen wirtschaftlichen Vorteil für Spediteure. Das ist ein Selbstanreiz, denn eine Flotte mit weniger Reparatur- und Ausfallkosten ist effizienter, und auch die Versicherungsprämien für eine solche Flotte sind deutlich niedriger als für eine Flotte mit vielen Unfällen."

Fast 600 getötete Fußgänger und Radler bei innerörtlichen Unfällen 2023

Laut amtlicher Unfallstatistik kamen in Deutschland im vergangenen Jahr 902 Menschen bei innerörtlichen Unfällen ums Leben, darunter 335 Fußgänger und 257 Radfahrer. Das AZT ist seit Jahrzehnten eine bekannte Adresse der Verkehrssicherheitsforschung in Deutschland. So plädierten die Sicherheitsforscher in den 1970er Jahren angesichts der damals jährlich fünfstelligen Zahl von Verkehrstoten in Deutschland für die Einführung der Gurtpflicht. Klaus-Peter Röhler betont, dass die Zahl der Verkehrstoten innerhalb der Europäischen Union mit rund 20.400 im Jahr 2023 noch immer deutlich zu hoch sei:

"Die EU-Kommission verfolgt das Ziel, bis 2050 die Zahl der Verkehrstoten auf null zu senken. Von dieser Vision Zero sind wir leider weit entfernt. Um im Zielkorridor zu liegen, hätte die Zahl der Opfer von 2022 auf 2023 um 18 Prozent sinken müssen, wenn ein linearer Verlauf angenommen wird. Erreicht wurde europaweit ein Rückgang von 1 Prozent - und in Deutschland stieg die Zahl zuletzt sogar um 1,8 Prozent auf 2.839 Getötete im Jahr 2023.

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