Brücke oder Blockade? EU will Erdgas fördern - neue Studie hält das für Irrweg

EU-Parlament votiert bei Nutzfahrzeuge auch für eine Anrechenbarkeit von Methan aus erneuerbaren Quellen in der Klimabilanz. Hersteller Iveco begrüßt den Schritt. Eine Studie des T&E-Instituts spricht von Fehlsteuerung und befürchtet Verzögerung für Elektrifizierung.

Für und Wider: Insbesondere im schweren Lkw und auf Fernstrecken könnte verflüssigtes Erdgas aus regenerativen Quellen eine wichtige Rolle im Antriebsmix spielen. | Foto: Iveco
Für und Wider: Insbesondere im schweren Lkw und auf Fernstrecken könnte verflüssigtes Erdgas aus regenerativen Quellen eine wichtige Rolle im Antriebsmix spielen. | Foto: Iveco
Johannes Reichel

Bei der Abstimmung im EU-Parlament in Strasburg zur Einführung von CO2-Grenzwerten für schwere Nutzfahrzeuge am 14. November hat sich das Europaparlament mehrheitlich dafür ausgesprochen, erneuerbares Gas künftig in der CO2-Bilanz der Lkw-Hersteller anzurechnen. Damit erweitert das Parlament den Vorschlag der EU-Kommission zur neuen Abgasnorm. Zudem wurde die Kommission beauftragt, bis 2020 eine Methodik vorzulegen, welche die Auswirkungen der Nutzung von nachhaltig erzeugtem Biomethan oder synthetischem Erdgas aus dem Power-to-Gas Verfahren auf die Berechnung der durchschnittlichen Flottenemissionen berücksichtigt. Der vom Parlament eingebrachte Vorschlag muss nun vom vom zuständigen Ministerrat verabschiedet werden.

"Damit zeigt das Parlament, dass mehr als nur ein Weg zur Dekarbonisierung führt und korrigiert die einseitige Vorfestlegung der Kommission auf die Elektromobilität", erklärte Timm Kehler, Vorstand der Brancheninitiative Zukunft Erdgas. 

Das von der Initiative und dem europäischen Branchenverband NGVA Europe seit Langem in die Debatte eingebrachte Argument der Technologieoffenheit habe sich endlich durchgesetzt. Abstimmung des EU-Parlaments zur Abgasnorm für neue schwere Nutzfahrzeuge haben sich die Akteure des europäischen Branchenverbandes NGVA Europe zu einem gemeinsamen Appell zusammengefunden.

Initiative Zukunft Erdgas: Gas-Lkw sind "Klimaschutz sofort"

Der Transport von Frachtgut über die Straße macht derzeit rund 70 Prozent der gesamten Logistik aus. Über sieben Millionen Lkws sind daher jährlich auf Europas Straßen unterwegs – Tendenz steigend. Von 2010 bis 2016 sind die jährlichen Lkw-Neuzulassungen um 45 Prozent gestiegen. Der Lkw-Transport verursachte 2016 laut der europäischen Umweltbehörde (EEA) rund 26 Prozent der europäischen CO2-Emissionen.

"Die Zahlen zeigen deutlich: Beim Lkw herrscht enormer Handlungsbedarf in puncto Klimaschutz. Gas-Lkw haben keine Einschränkungen bei Reichweite und Nutzlast, sind ausgereift und liefern Klimaschutz sofort", erklärte Kehler weiter.

Kürzlich wurde die Mautbefreiung für Erdgas-Lkw beschlossen. Mit der Fortsetzung der Steuerermäßigung für Erdgas als Kraftstoff und der neu etablierten Förderung für CO2-arme Lkw hat die deutsche Politik weitere wichtige Impulse gesetzt, urteilt der Verband. Zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündet, 500 Millionen Euro in den Aufbau eines ersten deutschen LNG-Importterminals investieren zu wollen, um künftig mehr Gas aus den USA beziehen zu können. In dem vom Diesel-Antrieb dominierten Markt sind heute europaweit rund 10.000 CNG- und 4.000 LNG-Lkw im Einsatz.  

Hersteller: Iveco begrüßt die Anerkennung der EU für Biomethan

Viele davon stammen von Iveco, der stark auf die Technologie als Brückenantrieb setzt. Der Hersteller begrüßte, dass das Europäische Parlament die Rolle von erneuerbarem Erdgas bei der Erreichung europäischer Dekarbonisierungsziele anerkannt.

"Wir sehen Erdgas schon lange als ausgereifte Technologie, die uns bereits heute zur Verfügung steht und die dramatische Emissionsreduktionen von 60 Prozent bei NO2 und 99 Prozent bei Feinstaub bewirken kann. Mit Biomethan kann auch der CO 2-Ausstoß in einer ,well to wheel'-Betrachtung um bis zu 95 Prozent gesenkt werden", erklärte Iveco-Brand President Pierre Lahutte

Methan ermögliche einen nahtlosen Übergang zur Dekarbonisierung des Transports, wenn Biomethan durch anaerobe Vergärung von organischen Abfällen erzeugt werde, die zusätzlich Kompost und Nährstoffe in den Boden zurückführt und tatsächlich Kohlenstoff als organische Substanz mit einem negativen CO2-Fußabdruck bindet, skizziert der Hersteller die weitere Perspektive.
 

Gegenstudie: T&E befürchtet Verschleppung der Elektrifizierung

Zu einem ganz anderen Schluss kommt allerdings eine neue Studie der Umweltorganisation Transport&Enviroment, dem europäischen Dachverband des Naturschutzbundes (Nabu). Die Organisation will ermittelt haben, dass CNG- und LNG-Antriebe im Lkw- und Schiffsverkehr den Klimaschutz nicht entscheidend voranbringen. Die CO2-Emissionen würden so, wenn überhaupt, nur minimal reduziert, sie könnten die Treibhausgasemissionen sogar erhöhen. Aus Sicht des Nabu ist dies eine klimapolitische Fehlinvestition. Stattdessen fordern die Umweltschützer, dass die deutsche Regierung die Steuervorteile für beide Kraftstoffe und die öffentliche Förderung für die CNG- und LNG-Infrastruktur stoppt. Denn die Förderung von Erd- und Flüssiggas behindere elektrische oder elektrifizierte Antriebe.

„Die Studie macht Schluss mit dem Ammenmärchen vom klimafreundlichen Gasantrieb. Fossiles Gas ist nicht die Antwort auf das Klimaproblem des Verkehrssektors", kritisierte Nabu-Bundesgeschäftsführer Leif Miller die Strategie von Bundesregierung und EU.

Die Bundesregierung dürfe mit Gas nicht das Zeitalter der Verbrennungsmotoren künstlich verlängern. "Alle Verkehrsträger, auch Schiffe und Lkw, müssen endlich emissionsfrei werden“, forderte der Umweltschützer. Erdgas und Flüssiggas seien nicht nur unwirksam beim Klimaschutz, sie führten auch technologisch in die Sackgasse, urteilte auch Daniel Rieger, Nabu-Verkehrsexperte.

„Der vielzitierte Klimavorteil von angeblich bis zu 20 Prozent Treibhausgasminderung stürzt bei genauerer Betrachtung ein wie ein Kartenhaus“, befindet Rieger.

CO2-Reduzierung in Praxis nicht erfüllt - Schiffe besser mit Euro VI-Diesel

Laut Studie müsse man schon froh sein, wenn sich die CO2-Bilanz nicht deutlich verschlechtere, da in der Gesamtbetrachtung durchaus bis zu neun Prozent Mehremissionen entstehen könnten. Im Bereich der Seeschifffahrt ließen sich immerhin die Luftschadstoffemissionen – im Vergleich zu Schweröl und Marinediesel – deutlich senken. Gegenüber modernen Lkw-Motoren der Abgasnorm Euro VI böte der Einsatz von Gas jedoch kaum Verbesserungspotenzial, so sein Urteil.

LOGISTRA Kommentar:

Bei allem Wohlwollen gegenüber kritischen Stimmen und dem berechtigten Hinweis, man dürfe nicht einen fossilen Brennstoff gegen den anderen ersetzen, am Ende noch durch umstrittenes Fracking-Gas. Aber die Studie von T&E, die doch ziemlich stark gegen die aktuelle "Mehrheitsmeinung" in Sachen Alternativer Antriebe steht, berücksichtigt einige Dinge zu wenig:

  • Erstens gibt es noch keine elektrisch angetriebenen Trucks, die auch nur halbwegs erschwinglich wären, allenfalls lokale Kleinserienhersteller machen sich bisher hier verdient. Die Großen wie Daimler und MAN kommen frühestens 2021 auf den Markt, Volvo Trucks will nächstes Jahr in Kleinserie gehen, nur von Fuso gibt es in homöopathischen Stückzahlen einen elektrisch angetriebenen Leicht-Lkw zu kaufen. Zudem muss dann auch erst eine passende Ladeinfrastruktur errichtet werden.
  • Zweitens werden auch kaum die künftigen Potenziale berücksichtigt, die in der Methanisierung von Reststoffen wie Stroh oder in einer skalierten und industrialisierten Power2Gas-Technologie liegen.
  • Drittens: Wer im Fernverkehr oder mit schweren Lkw elektrisch unterwegs sein will, der transportiert nur noch Akkus, keine Fracht. Hier gilt LNG nicht zuletzt als ideal.
  • Viertens und nicht zuletzt: Die CNG/LNG-Technik erprobt, in einem Business case halbwegs darstellbar und sofort verfügbar. Wobei die Organisation zurecht anmerkt, dass die versprochenen Reduzierungen beim CO2 so in der Praxis nicht immer einträten.

Dennoch: Bis es vielleicht mal mit Brennstoffzellen-Lkw oder gar Oberleitungs-Lkw soweit ist, vergehen noch Jahre. Wir brauchen aber kurzfristig Lösungen wie CNG/LNG, die in Sachen CO2 mit Hilfe regenerativer Techniken und Reststoffverwertung sehr wohl Fortschritte für die überlastete Atmosphäre bringen wie auch beim Thema Stickoxid und Feinstaub in den überlasteten Städten. Insofern sollte man den Stab nicht einfach brechen über eine Technologie, die nicht nur als Brücke taugt, sondern künftig vielleicht auch als Ergänzungspieler im Energiemix. Der ganze Wind- und Solarstrom muss schließlich irgendwie gespeichert werden. Im Moment gilt: CNG/LNG ist besser als gar nichts zu tun und auf die Elektromobilität zu warten. Denn das kann noch dauern.

Zudem stünden für Lkw zunehmend emissionsfreie Antriebskonzepte zur Verfügung, die schnell und flächendeckend zum Einsatz kommen sollten. Subventionierte Gas- und Dieselpreise jedoch sowie höhere Anschaffungskosten der Fahrzeuge verhinderten deren Durchsetzung am Markt bisher. So sieht der Nabu-Experte die Förderung von Erd- und Flüssiggas als massives Hindernis für Oberleitungs-Lkw, Wasserstoff- sowie batterieelektrische Antriebe. „Es kann nicht sein, dass wir jetzt darüber reden, im Straßengüterverkehr einen fossilen Kraftstoff durch einen anderen zu ersetzen, während alle namhaften Hersteller längst elektrifizierte Antriebe im Angebot haben“, resümiert Rieger.