Corona-Krise: Wirkung auf Lieferketten wie Finanzkrise

Zwei Universitätsprofessoren wagen einen Ausblick auf mögliche Entwicklungen in Produktion und Logistik.

Wie am Schnürchen: Auch Automobilwerke - wie hier das Transporterwerk von Renault in Maubeuge - sind von einer funktionierenden Supply Chain abhängig. | Foto: Renault
Wie am Schnürchen: Auch Automobilwerke - wie hier das Transporterwerk von Renault in Maubeuge - sind von einer funktionierenden Supply Chain abhängig. | Foto: Renault
Johannes Reichel
(erschienen bei LOGISTIK HEUTE von Therese Meitinger)

Die Coronavirus-Pandemie bedeutet auch für Lieferketten in vielerlei Hinsicht unbekanntes Terrain. Dennoch lassen sich Erkenntnisse aus früheren Krisenlagen heranziehen, um die aktuelle Situation besser zu verstehen oder auch Szenarien für eine künftige SCM-Entwicklung zu entwickeln.

„Da sich das Virus weltweit verbreitet hat, sehen wir bei der Entwicklung der Nachfrage ähnliche Auswirkungen wie die Rezession von 2008 oder die Verlangsamung der Wirtschaft nach dem 11. September“, sagt etwa Dr. Vidya Mani, außerordentliche Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Darden School of Business der University of Virginia.

Damals habe die Verlangsamung des Reiseverkehrs zunächst dazu geführt, dass sich die vom Flug-, Kreuzfahrt- oder Tourismussektor abhängigen Unternehmen aufgrund des klippenartigen Nachfragerückgangs stark verschuldeten oder bankrottgingen. „Wir sollten uns die Zeitpläne von 2008 und dem 11. September ansehen, um die mögliche Weiterentwicklung zu veranschaulichen“, sagt Mani weiter. Denkbar seien etwa Auswirkungen auf die Öl- und Gasindustrie oder die Hotellerie.

Loopback-Effekt nach der Krise?

Beim erneuten Anlaufen der Produktion drohe zudem der „Loopback-Effekt“. „Wir hatten Mühe, die Fabriken in China und an anderen Standorten wieder in Betrieb zu nehmen, wir haben sogar die Kapazität als Reaktion auf kurzfristige Engpässe erhöht“, schildert Vidya Mani. Nun, wo die Nachfrage zurückgehe, erwartet sie, dass die Liquidität in der Lieferkette versiegt, also kleine Unternehmen nicht in der Lage sein werden, ihre eigenen Lieferanten zu bezahlen und ihre alten Bestände zu verkaufen. Es zeichne sich eine Verlangsamung der gesamten Kette ab. „Diese Loopback-Effekte ähneln Nachbeben nach einem Erdbeben“, so Mani weiter.

Als besonders gefährdet sieht die Wissenschaftlerin alle Branchen, die wie Mode oder Heimwerkerbedarf stark von der saisonalen Nachfrage abhängig sind. Sie verlören die Geschäfte einer gesamten Saison und verfügten möglicherweise nicht über die notwendige Liquidität, um die wieder anziehende Nachfrage in der nächsten Saison abzuwarten.

„Alle Lieferketten können potenziell vom Ausbruch des Coronavirus betroffen sein“, erklärt Dr. Florian Lucker, Professor für Supply Chain Management an der Cass Business School der City University School of London. „Automobilunternehmen haben besonders lange Lieferketten mit vielem Schritten im Produktionsprozess, sodass sie eindeutig gefährdet sind, wie wir bei Jaguar Land Rover gesehen haben.“

Im Vorteil seien nun Unternehmen, die sich des Risikos von Lieferunterbrechungen bewusst seien und belastbare Lieferketten aufgebaut hätten, die Lager- und Notfalllieferanten einsetzten, so Lucker. Und weiter: „Pharmazeutische Unternehmen sind in der Regel für ihre widerstandsfähigen Lieferketten bekannt. Da diese Firmen oft lebensrettende Medikamente an ihre Kunden liefern, haben sie nicht nur wirtschaftliche Anreize, sondern müssen auch die regulatorischen Anforderungen erfüllen.“