dena-Studie: Weg vom "Klein Klein" beim Klimaschutz - hin zur Verkehrswende

Energieagentur fordert in der "Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität" eine Energie- und Mobilitätswende im großen Stil statt sich in Einzelmaßnahmen zu verlieren. Aufgabenkatalog für die Politik sieht im Verkehr vor allem weniger Pkw und mehr Umweltverbund vor.

Weg-weisend: Die dena skizziert den Pfad der THG-Reduktion im Mobilitätssektor und beschreibt Szenarien nach Wahrscheinlichkeit. | Grafik: dena
Weg-weisend: Die dena skizziert den Pfad der THG-Reduktion im Mobilitätssektor und beschreibt Szenarien nach Wahrscheinlichkeit. | Grafik: dena
Redaktion (allg.)
(erschienen bei VISION mobility von Johannes Reichel)

Mitten in den Verhandlungen um eine neue Regierung hat die Deutsche Energieagentur dena in einer großangelegten "Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität" die politischen Akteure zu entschlossenem Handeln bei der Energie- und Verkehrswende aufgefordert. Das "historische Klein-Klein" der vergangenen Jahre müsse überwunden und die Wende besser organisiert werden, forderte dena-Vorsitzender Andreas Kuhlmann. Dafür sei eine Steuerung aus dem Kanzleramt notwendig und eine bessere Einbindung des Bundestags. Er schlug unter anderem einen neuen Bundestagsausschuss Klimaneutralität vor sowie eine Enquete-Kommission. Kuhlmann sieht durchaus Chancen, die gesetzlich vorgegebenen Ziele bis 2030 zu erreichen, sofern der Aufbruch gelinge.

Skeptisch zeigte er sich dagegen, ob die einzelnen Sektoren auch jeweils ihre Minderungspfade schaffen könnten und über das Instrument der bei Verfehlung vorgesehenen Nachsteuerung der säumigen Ministerien. Dafür sei in der Vergangenheit "zu viel liegengeblieben". Zentrale Forderungen sind etwa die Steigerung der Energieeffizienz, der Ausbau der erneuerbaren Energien, gekoppelt mit einem früheren Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030 und der Umstieg vom motorisierten Individualverkehr auf den Umweltverbund mit Bus und Bahn. Gemäß dena müsse dann der Bestand an Pkw deutlich sinken. An der Studie waren neben der dena selbst über 70 Unternehmen sowie ein 45-köpfiger Beirat beteiligt.

    Die Studie listet zehn zentrale Fragestellungen auf, die mit detaillierten Informationen, Forderungen und Graphiken untermauert werden. Darunter spielt neben der alle Pläne basierenden Energiewende auch der Verkehrs- und Mobilitätssektor eine zentrale Rolle.

    "Die Emissionen im Verkehrssektor stagnieren. Klimapolitisches Ziel ist, bis 2030 mindestens 48 Prozent weniger CO2 im Verkehr gegenüber 1990 zu emittieren. Auch danach steigt das Ambitionsniveau kontinuierlich. Passende Technologien, Energieträger sowie IT- und Mobilitätskonzepte sind verfügbar – durch fehlende Rahmenbedingungen kommen diese jedoch nicht zum Tragen. Bisweilen gibt es aktuell sogar noch Marktentwicklungen und Trends, die gegenläufig zum Ziel der Klimaneutralität sind", erklären die dena-Autoren einleitend.

     

      Sie geben der künftigen Bundesregierung einen konkret formulierten Aufgabenkatalog mit an die Hand. Alleine für den Verkehrssektor sind folgende Punkte von entscheidender und grundsätzlicher Bedeutung:

      • In den Mittelpunkt der Klimaschutzbemühungen müssen in den kommenden Jahren adäquate Folgekosten der Emissionen aus fossilen Quellen treten. Staatliche Instrumente, die THG-Emissionen begünstigen, müssen dementsprechend abgebaut werden. Dies stärkt Effizienztechnologien, erneuerbare Kraftstoffe und den Umweltverbund. Sozial besonders belastete Haushalte sollten nicht pauschal für höhere Kosten kompensiert werden, sondern über zielgerichtete Zuschüsse in den Lebensbereichen, die am stärksten ihre Grundbedürf- nisse und ihre soziale Teilhabe betreffen.
      • Die stärkere Durchdringung des Marktes mit elektrifizierten Fahrzeugen, aber auch die weitere Digitalisierung wird zu Stellenabbau und veränderten Stellenanforderungen führen. Gleichzeitig wird es im Bereich Softwareengineering und für den Aufbau und die Wartung der Ladeinfrastruktur sowie im Bereich von Planungsprozessen einen erhöhten Bedarf an qualifizierten Fachkräften geben. Die dem Bedarf entsprechende Ausbildung und Umschulung muss hohe Priorität besitzen und beispielsweise durch Fördermaßnahmen wie den Zukunftsfonds Automobilindustrie hinterlegt werden.
      • Nachdem in den vergangenen zwei Jahren die Marktentwicklung durch hohe Fördersummen gestützt wurde, muss die kommende Bundesregierung den wirtschaftlichen Rahmen für gewerbliche und private Verbraucherinnen und Verbraucher bereiten, sodass eine sich selbst tragende Entwicklung erfolgen kann. Dies muss auch dazu führen, dass sich die Infrastruktur perspektivisch selbst trägt. Wenn Fördergelder in den Aufbau von Betankungs- oder Ladeinfrastruktur fließen, sollten diese für die Entwicklung öffentlich zugänglicher Infrastrukturen eingesetzt werden, um Kostennachteile von Verbraucherinnen und Verbrauchern ohne Zugang zu privater Ladeinfrastruktur zu reduzieren.
      • Verbraucherinnen und Verbraucher zeigen typischerweise eine eher niedrige Preissensitivität bezüglich ihrer Individualmobilität (auch deutlich höhere Kraftstoffpreise führen nur zu einem geringen Rückgang des Spritabsatzes). Über das Instrument der THG-Minderungsquote besteht daher die Chance, den Anteil erneuerbarer Energieträger ohne öffentliche Fördermaßnahmen zu steigern und somit die Emissionen im Verkehr zu reduzieren.
      • Im Güterverkehr könnten durch freiwillige Instrumente (z. B. ein grünes Label) über die Quoten hinausgehende Mengen an erneuerbarem Strom bzw. erneuerbaren gasförmigen oder flüssigen Kraftstoffen in den Markt gelangen, wenn sie anderweitig angerechnet werden können (zum Beispiel bei Maut- oder Flottenzielwerten).
      • Da gerade Haushalte mit geringen Einkommen auf öffentliche Verkehre angewiesen sind, müssen deren Bedeutung und Qualität gestärkt werden. Öffentliche Fördergelder sollten daher in einen Ausbau des Angebots und in eine bessere Verknüpfung mit geteilten Verkehrsangeboten investiert werden.
      • Ein nachhaltigerer, gleichfalls bedarfsgerechter Verkehr sollte die regional spezifischen Herausforderungen adressieren. Eine umfangreiche Anpassung des Straßenverkehrsrechts sollte daher so schnell wie möglich angegangen werden, um Kommunen mehr Spielraum bei der Planung und bei Eingriffen im Straßenraum zu geben. Flankiert werden sollten diese wichtigen regulatorische Anpassungen durch innovative Pilotprojekte, z.B. City Maut Projekte unter Einbezug innovativer verkehrsplanerischer Ansätze und Mobilitätsangebote.
      • Die Stärkung des Umweltverbunds im Verkehr scheitert der- zeit auch an langen Planungsverfahren für Bahntrassen oder Radwege. Hinzu kommen langwierige Baumaßnahmen. Die Bundesregierung muss daher dringend Wege suchen, um das Planungsrecht weiter zu vereinfachen und Verfahren zu beschleunigen.
      • Da davon auszugehen ist, dass gerade im Schienenverkehr die gewünschten Potenziale durch infrastrukturelle und planerische Defizite nicht schnell genug aufgebaut werden können, sollte insbesondere in den 2020er Jahren Regional- und Fernbussen als Teil des Verkehrssystems eine größere Aufmerksamkeit zukommen.
      • Der bisherige energiesteuerliche und Kfz-steuerliche Rahmen sendet noch nicht genügend Impulse für Investitionen in effiziente Fahrzeuge oder erneuerbare Kraftstoffe. Gleichfalls werden bei stärkerer Marktdurchdringung von elektrifizierten Fahrzeugen die steuerlichen Einnahmen deutlich sinken. Daher muss die kommende Bundesregierung eine grundlegende Anpassung der energie- und verkehrsseitigen Steuern sowie Abgaben vornehmen, die auf Treibhausgasminderungen ausgerichtet sind, jedoch mittelfristig Einnahmen aus dem Verkehr sichern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass über die derzeitige Energiebesteuerung von Kraftstoffen erhebliche Finanzmittel für den Auf- und Ausbau bzw. Erhalt der Verkehrsinfrastrukturen erzielt werden. Dies ist auch bei einer Reform staatlicher Steuern und Abgaben zu berücksichtigen.
      • Mit dem „Fit for 55“-Paket hat die EU-Kommission einen umfangreichen Vorschlag für verschiedenste Bereiche des Verkehrs und des Energiemarktes gemacht. Gerade für den international geprägten Luftverkehr sollten die Anforderungen der ReFuelAviation mit dem nationalen Zielniveau von SAF in Übereinstimmung gebracht werden. Darüber hinaus müssten Instrumente zur CO2-abhängigen Bepreisung wie BEHG, Energiesteuer und sektoraler ETS darauf geprüft werden, ob und inwiefern sie nebeneinander existieren können.