Emissionen: EU-Umweltminister forcieren strengere CO2-Limits

Nach zähem Ringen gelingt den EU-Umweltministern ein Kompromiss für niedrigere CO2-Grenzwerte bei Pkw und Transportern. Den bezeichnet die deutsche Industrie als "bedauerlich", der EU-Ratsvorsitz spricht von Innovationsanreiz. In der Bundesregierung eskaliert daraufhin der Diesel-Streit.
Alternativ Tanken: Um die EU-Vorgaben für niedrigeren CO2-Ausstoß zu erfüllen, braucht es neue Wege bei den Antriebstechnologien und Kraftstoffen. | Foto: J. Reichel
Alternativ Tanken: Um die EU-Vorgaben für niedrigeren CO2-Ausstoß zu erfüllen, braucht es neue Wege bei den Antriebstechnologien und Kraftstoffen. | Foto: J. Reichel
Johannes Reichel

Der Rat der EU-Umweltminister hat sich auf eine Verschärfung der CO2-Grenzwerte für Neuwagen verständigt. Demnach soll der Spritverbrauch von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen stärker sinken, als von der EU-Kommission vorgeschlagen. Für Pkw sind 35 Prozent bis 2030 angepeilt, für leichte Nutzfahrzeuge 30Prozent weniger CO2, womit man hier dem Vorschlag der EU-Kommission folgte. Bis 2020 ist bereits ein Flottendurchschnitt von 95 g CO2 pro Kilometer verankert, die neuen Grenzwerte orientieren sich daran. Während die französischen Autohersteller sich zuvor mit ihrem Umweltminister Francois de Rugy offenbar auf die noch strengere Linie von Minus 40 Prozent bis 2030 geeinigt hatten, musste die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) auf Geheiß der Bundesregierung gegen die Verschärfung stimmen, obwohl sie sich persönlich ebenfalls für eine Verschärfung ausgesprochen hatte. Das sei gerade nach dem jüngsten IPCC-Bericht des Weltklimarats dringend geboten, jede eingesparte Tonne CO2 helfe dem Klima, sagte sie im ZDF. Ihr Kabinettskollege Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) warf ihr daraufhin via Bild-Zeitung vor, sie habe nur halbherzig verhandelt. Die SPD-Fraktion fachte den Streit weiter an mit der Forderung nach einer Strafgebühr von 5.000 Euro für manipulierte Diesel Fahrzeuge. Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider warf dem Verkehrsminister vor, er geriere sich als "oberster Autoverkäufer des Landes".

Das EU-Parlament hatte jüngst ebenfalls eine Absenkung um 40 Prozent gefordert. Klimawissenschaftler und Umweltverbände halten auch dieses Ziel für zu niedrig. Für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels sei eine Reduktion um 60 Prozent nötig und auch machbar. Klimaforscher Mojib Latif sagte im ZDF, man habe keine Zeit mehr zu verlieren. Schon der Unterschied zwischen 30 und 40 Prozent Reduktion sei gewaltig und von der Dynamik ein anderer Schritt. Der jüngste IPCC-Bericht hatte gefordert, die gesamten CO2-Emissionen müssten bis 2030 um 45 Prozent gegenüber 2010 fallen, bis 2050 bei "Net Zero", quasi Null ankommen, wolle man das 1,5-Grad-Ziel noch erreichen. Das sei möglich, erfordere aber sofortiges Handeln. Ein Überschreiten mache zusätzlich die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre erforderlich, wolle man die Folgen einigermaßen beherrschbar halten.

Anreiz für Innovation versus Überforderung

Der Verband der Automobilindustrie VDA kritisierte die Entscheidung. VDA-Präsident Bernhard Mattes sagte: "Mit dem Votum wurde die Chance vertan, die CO2-Regulierung für die Zeit nach 2021 wirtschaftlich und technisch realistisch zu gestalten. Es ist mehr als bedauerlich, dass die Mehrheit der Mitgliedsstaaten nicht die Kraft gefunden hat, Klimaschutz und Beschäftigungssicherung in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen". Der Verband rechnet damit, dass Rat und Parlament nun mit "überzogenen Forderungen in die anstehenden Trilogverhandlungen" gingen. Daher sei bereits jetzt klar, dass die EU aus seiner Sicht zu hohe CO2-Ziele für die Automobilindustrie verabschieden werde. Dem hielt Elisabeth Köstinger, österreichische Bundesministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus entgegen, mit dem EU-Ratsbeschluss bewirke man, "dass die europäische Automobilindustrie umweltfreundlichere Fahrzeuge baut, mehr in Innovationen investiert und zuverlässigere Emissionsdaten meldet."

Stärkung oder Schwächung im globalen Wettbewerb?

Mattes befürchtet globale Wettbewerbsnachteile und warnte vor dem Verlust von Arbeitsplätzen und meinte, in keinem Teil der Welt seien vergleichbare Ziele in Sicht. Dieser Argumentation hielten die Vertreter Spaniens, der Niederlande, Frankreichs oder Großbritanniens entgegen, ein schneller Umbau der Autoindustrie sei gerade in Konkurrenz zu Ländern wie China nötig und werde neue Arbeitsplätze schaffen. Auch Automobilwissenschaftler Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen meinte, auch wenn der europäische Grenzwert im Moment sehr scharf wirke, rechne er damit, dass China bald noch weit strengere Regeln einführen werde, die fast ausschließlich von Elektrofahrzeugen zu erfüllen sein würden. "Im Jahr 2030 wird jedes dritte oder vierte Auto dort verkauft, da sollte Europa nicht hinterherlaufen", erklärte der Autoexperte gegenüber der Süddeutschen Zeitung.

VW-Chef Herbert Diess stellte als Reaktion auf den Ministerratsbeschluss in einem Interview mit der SZ den Verlust von 100.000 Arbeitsplätzen in den Konzernwerken in den Raum. warf den Kommunen Ideenlosigkeit in Sachen Luftreinhaltung vor und warnte drastisch vor dem Absturz der deutschen Autoindustrie. Doch der CDU-Abgeordnete Peter Liese macht eine ganz andere Rechnung auf: Selbst ein CO2-Ziel von Minus 40 Prozent würde nur 12.000 Arbeitsplätze in der gesamten Autoindustrie kosten. Zugleich könnten 69.000 neue Jobs erwachsen, weil ja auch die Ladeinfrastruktur für E-Autos aufgebaut werden müsse und zudem die Abhängigkeit von Ölimporten zurückginge. In diesem Kontext warf VW-Chef Diess der Energiewirtschaft vor, sie würde die komplette Elektrifizierungsstrategie des Konzerns "ad absurdum" führen, wenn sie weiter mit Braunkohle Strom produziere. "Dann fahren wir mit Kohle statt Erdöl und produzieren mehr CO2 als heute", erklärte der Manager.

EU will bessere Anreize für emissionsarme Fahrzeuge schaffen

Der VDA honorierte, im Gegensatz zum Beschluss des Europäischen Parlamentes habe der Ministerrat immerhin positive Signale gesetzt, etwa für die stärkere Anrechnung von Plug–in-Hybriden oder die Differenzierung von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen. Aus Mattes Sicht geht aber auch das 30-Prozent-Ziel für Transporter "an der technischen Realität in diesem Segment vorbei". Der Verbandschef forderte, die neue Regulierung müsse stärkere Anreize für die Elektromobilität setzen und rief die EU-Mitgliedsstaaten auf, mehr Verantwortung für den Aufbau der Ladeinfrastruktur zu übernehmen. Allerdings hat der Rat sehr wohl beschlossen, "emissionsarme Fahrzeuge beim Anreizmechanismus für emissionsfreie und emissionsarme Fahrzeuge besser zu stellen". Auch sollen Hersteller durch einen besonderen Anreiz dazu gebracht werden, emissionsfreie und emissionsarme Fahrzeuge auf Märkten zu verkaufen, auf denen diese Fahrzeuge bislang kaum vertreten sind, wie das EU-Gremium offiziell mitteilte. Konkret bedeute dies, dass neu zugelassene Pkw in Mitgliedstaaten, in denen der Anteil emissionsfreier und emissionsarmer Fahrzeuge unterhalb von 60 Prozent des EU-Durchschnitts liegt, günstiger bewertet werden sollen.

Einmal mehr wies der VDA-Präsident auf die Chancen von Biokraftstoffen und regenerativen Kraftstoffen (sog. E-Fuels) zur CO2-Reduktion hin und forderte eine freiwillige Anrechnung der E-Fuels auf den Flottengrenzwert. Nach Ansicht des Automobilexperten und Wissenschaftlers Stefan Bratzel vom Center of Automotive Research in Bergisch-Gladbach läge man für ein 40-Prozent-Reduktionsziel bei Benzinmotoren bei einem Verbrauch von 2,5 l/100 km. "Das lässt sich mit konventionellen Motoren eigentlich nicht mehr realisieren", urteilte er im ZDF.

Unser Fazit:

Es ist schon eine absurde Situation, wenn sich der einstige Klimaschutzpionier Deutschland auf einmal an der Seite von fast schon traditionellen Umweltbremsern und zukunftsvergessenen Klimaignorantenwie Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei oder Bulgarien wiederfindet. Dass es so weit kommen konnte, ist der ewig langen Leine geschuldet, die die Bundesregierung gegenüber der deutschen Schlüsselindustrie über Jahrzehnte ließ. Damit hat man den technologischen Fortschritt eher nicht befördert, das Prinzip der "besten verfügbaren Technik" (BVT) verschleppt und letztlich auch der Industrie nicht gedient, der Sicherung der Arbeitsplätze schon gar nicht. Es ist traurig aber wahr: Wie bei der Energiewende, der untrennbar verbundenen Schwester der Mobilitätswende,wo Deutschland vom mutigenMusterknaben und Vorreiterzum griesgrämigen Blockierer und Nachtwächter mutierte und seine Führungsrolle vertändelte, droht das nun auch beim Automobil, das man hier mal erfunden hat. Traurig genug!

Statt jetzt aber verzagt zu wehklagen und sich verzweifelt an den Status Quo zu klammern, sollte man lieber die Ärmel hochkrempeln, schnell die Lücke schließen und den gewaltigen Innovationsschatz heben, der in deutschen Automobilunternehmen schlummert: Erdgasantrieb, 48-Volt-Technik, Hybrid-, Elektro- und Fuel Cell, Leichtbau - auf all diesen Feldern spielen die hiesigen Hersteller noch vorne mit.Die selbstverschuldete Krise und der verschleppte Fortschritt machen jetzt umso höheres Tempo erforderlich. Denn zu spät ist es noch nicht - und die anderen kochen auch nur mit Wasser.Das 2,5-Liter-Auto? Kriegen wir hin! Mit den richtigen Prioritäten. Freilich, da müssen dann auch die jetzt noch SUV-verwöhnten Kunden mitziehen. Aber wie man ein leichtes, sparsames, trotzdem komfortables und sicheres sowie erschwinglichesVernunftauto hübsch designt und werbewirksam vermarktet, darin kennen sich die Hersteller ja nun wirklich aus. Nur muss man da raus aus demviel zu lange eingeübtenDenkraster. Es gilt, den Beweis zu erbringen: Mobilität geht auch nachhaltig. Denn sparsam ist das neue "schnell".