EU-Minister: Weichenstellung für mehr Klimaschutz im Verkehr

Das Getöse um E-Fuels und Verbrennerausstieg übertönte, dass die weiteren Beschlüsse des EU-Ministerrats viel umfassendere Bedeutung haben. So soll vor allem der Verkehrssektor elektrifiziert und in den Emissionshandel mit aufgenommen werden. Ab 2030 schärfere Flottengrenzwerte.

Mehr Klimaschutz: Auch der Verkehrssektor soll in das Emissionshandelssystem aufgenommen - und klimafreundlicher werden. | Foto: AdobeStock
Mehr Klimaschutz: Auch der Verkehrssektor soll in das Emissionshandelssystem aufgenommen - und klimafreundlicher werden. | Foto: AdobeStock
Redaktion (allg.)
(erschienen bei VISION mobility von Johannes Reichel)

Die europäischen Energie- und Umweltministerinnen und -minister haben eines der umfassendsten Klimaschutzpakete in der Geschichte der EU auf den Weg gebracht. In Luxemburg verständigten sie sich bei ihrem zweitägigen Treffen auf weitreichende Verschärfungen bestehender Klimaschutzvorgaben. Grundlage dafür ist das „Fit-for-55-Paket“ der EU-Kommission, mit der die EU ihre Klima- Emissionen bis 2030 um 55 Prozent senken und damit die Vorgaben des Pariser Weltklimaabkommens einhalten will. Den Beschlüssen der Energie- und Umwelträte zufolge soll der CO2-Zertifikatehandel auf weitere Sektoren ausgeweitet werden. PKW-Neuwagen sollen ab 2035 vollständig CO2-frei fahren. Dazu soll die Elektrifizierung im Verkehr vorangetrieben werden. Das EU- Endenergieeffizienzziel soll deutlich angehoben werden und zum ersten Mal verbindlich sein. Das bereits verpflichtende Ziel für erneuerbare Energien wird von 32% auf 40% angehoben, mit ambitionierten Sektorzielen für Wärme, Verkehr, Gebäude und Industrie. Hinzu kommen Ziele und Rahmenvorgaben für den Hochlauf von grünem Wasserstoff. Sozialschwache Haushalte will man über einen Klimasozialfonds entlasten.

„Inmitten der größten Energiekrise Europas haben wir eines der umfassendsten Klimaschutzpakete in der EU-Geschichte auf den Weg gebracht. Es ist ein Signal der Entschlossenheit, das in dieser Krise nötig und folgerichtig ist: Die Beschlüsse sind elementar, um die EU unabhängiger von fossilen Energien zu machen und den Klimaschutz voranzutreiben. Dabei sind Schnelligkeit und Konsequenz gefragt. Mit dem „Fit-for-55“-Paket sind die Weichen für den Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität gestellt. Klimaschutz in der EU wird mit dem Paket unumkehrbar", meint Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke sieht vor allem die Weichen für mehr Klimaschutz im Verkehr gestellt. Das sei ein riesiger Fortschritt und lenke den Verkehrssektor auf den Weg der Klimaneutralität.

"Gerade im Verkehr gibt es enormen Nachholbedarf. Die EU-Mitgliedstaaten haben mit überdeutlicher Mehrheit dafür gestimmt, dass ab 2035 nur noch Autos und leichte Nutzfahrzeuge zugelassen werden, die kein CO2 ausstoßen. Wir setzen damit das klare Signal, dass wir die Klimaziele erreichen müssen. Sie geben der Autoindustrie die Planungssicherheit, die sie braucht", findet Lemke.

Im nächsten Schritt werden die Energie- und Umwelträte unter tschechischer EU-Ratspräsidentschaft zusammen mit dem Europäischen Parlament im Trilog-Verfahren weiterverhandeln. Für diese endgültige Neuformulierung relevanter Klimaschutz-Richtlinien des Fit-for-55-Pakets ist das kommende zweite Halbjahr 2022 vorgesehen.

Die Beschlüsse im Einzelnen laut BMWK:

CO2-Flottengrenzwert: Ab 2030 strenger
Die EU-Kommission hat im Rahmen des Pakets „Fit für 55“ vorgeschlagen, die Vorschriften für die CO2-Emissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen fortzuschreiben. Demnach müssen die Hersteller ab dem Jahr 2030 anspruchsvollere CO2- Flottengrenzwerte erfüllen, als das bislang der Fall ist. Im Jahr 2035 beträgt die Minderung sowohl bei Pkw als auch bei leichten Nutzfahrzeugen 100%. Weiterhin wird dem Beschluss zufolge die Kommission einen Vorschlag machen, wie nach 2035 außerhalb der Flottengrenzwerte noch Fahrzeuge zugelassen werden können, die dann ausschließlich mit klimaneutralen Kraftstoffen (E-Fuels) betrieben werden; dabei muss dies im Einklang mit dem EU-Recht und in Übereinstimmung mit den Klimazielen der EU stehen. Einen Vorschlag für den Bereich außerhalb der Flottengrenzwerte wird die EU-Kommission entwickeln und vorlegen. Von diesem Beschluss geht das klare Signal zum Hochlauf der E-Mobilität aus; die Industrie, die die Umstellung auf Elektroautos bereits vorantreibt, bekommt Investitionssicherheit.

Bestehender Emissionshandel I: Kostenlose Zertifikate für Luftfahrt laufen aus
Der Beschluss des Umweltrates sieht vor, die Menge der CO2-Zertifikate – die Emissionsrechte – im EU-Emissionshandelssystem (ETS-1) bis 2030 im Vergleich zu 2005 schrittweise um 61 Prozent zu senken (bisher 43%). Die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten für den Luftfahrtbereich und für bestimmte, besonders im internationalen Wettbewerb stehende Industriesektoren soll stufenweise auslaufen. Für diese Industrien wurde bereits im März im Rat für Wirtschaft und Finanzen beschlossen, dass ein CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) eingeführt werden soll. Außerdem wird der Seeverkehr zukünftig in den Emissionshandel einbezogen (ab 2024). Damit deckt der ETS-1 dann fast die Hälfte aller europäischen Treibhausgasemissionen und die größten Quellen für klimaschädliche Treibhausgase ab: im Energiesektor, in der energieintensiven Industrie sowie im See- und Luftverkehr.

Neuer Emissionshandel II: Auch der Straßenverkehr dabei
Der Umweltrat spricht sich dafür aus, ein neues zusätzliches und eigenständiges Emissionshandelssystem für Gebäude und den Straßenverkehr zu schaffen – ähnlich dem nationalen deutschen Brennstoffemissionshandel. Dieser neue ETS-II sieht ab 2027 europaweit CO2-Emissionsrechte für Kraft- und Brennstoffe vor, um damit die wesentlich klimafreundlicheren erneuerbaren Energien besserzustellen. Die hierbei erfassten Emissionen sollten bis 2030 um 43 Prozent im Vergleich zu 2005 reduziert werden. Die Menge der Emissionsrechte soll dabei jährlich um 5,15 Prozent und ab 2028 um 5,43 Prozent jährlich zurückgehen. Kostenlose Emissionsrechte sind nicht vorgesehen.

Klimasozialfonds: Schutz auch für Kleinstunternehmen
Ein neuer Klimasozialfonds soll den Mitgliedstaaten Finanzmittel zur Verfügung stellen, um die sozialen Auswirkungen des vorgeschlagenen neuen Emissionshandelssystems ETS-II auszugleichen. Der Fonds soll Maßnahmen und Investitionen in effizientere Gebäude und emissionsärmere Mobilität unterstützen. Die Unterstützung soll hauptsächlich schutzbedürftigen Haushalten, Kleinstunternehmen oder Verkehrsteilnehmern zugutekommen. Vorrübergehend kann der Fonds auch direkte Einkommensbeihilfen für gefährdete Haushalte finanzieren. Der Fonds hat eine Gesamthöhe von 59 Mrd. Euro über eine Laufzeit von 2027-2032 und wird aus Einnahmen des neuen ETS für Gebäude und Straßenverkehr finanziert.

Grenzausgleichsmechanismus: Klimazoll für Importe
Wie bereits im März im Rat für Wirtschaft und Finanzen beschlossen, soll ab dem Jahr 2023 mit einer Übergangsphase von drei Jahren ein CO2-Grenzausgleichsmechanismus eingeführt werden. Dieser „Carbon Border Adjustment Mechanism“ (CBAM) soll das derzeit zentrale Instrument zum Schutz vor Carbon Leakage, die kostenlose Zuteilung an Emissionszertifikaten, bis 2035 schrittweise ablösen. Durch den Mechanismus bekommen in Zukunft auch CO2-Emissionen bestimmter energieintensiver Produkte, die in die EU importiert wurden, einen Preis. Der Mechanismus schafft einen Ausgleich für europäische Unternehmen, die dem EU Emissionshandel unterliegen, gegenüber Unternehmen aus anderen Wirtschaftsräumen. Zunächst soll der CBAM nach Position des Europäischen Rates nur den Stromsektor und ausgewählte Güter aus den Industriesektoren Zement, Eisen und Stahl, Aluminium und Düngemittel umfassen.

Verbindliche Klimaziele für die Sektoren außerhalb des EU-ETS
Das Fit-for-55-Paket wird auch Klimaziele für die Sektoren außerhalb des bestehenden Emissionshandels anpassen. In den Sektoren Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfall sowie Landnutzung und Forstwirtschaft verpflichten sich die Mitgliedstaaten zu verbindlichen Klimazielen. Um diese Ziele zu erreichen, sind sowohl europäische als auch nationale Klimaschutz-Maßnahmen vorgesehen. Die Verantwortung für die Zielerreichung tragen aber letztlich die einzelnen Mitgliedstaaten. Dabei verfolgt die angepasste EU-Klimaschutzverordnung („Effort Sharing“) das Ziel einer Treibhausgasminderung um 40% gegenüber 2005. Die Verordnung über Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft („LULUCF-Verordnung“) soll den CO2-Ausstoß bis 2030 um 310 Millionen Tonnen senken.

Höheres Ziel für erneuerbare Energien und verbindliche Sektorziele
Bei der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie wird das bisherige verbindliche 2030-Ziel von 32% auf 40% angehoben. Darüber hinaus wurden ambitionierte und verbindliche Sektorziele festgelegt, mit denen erneuerbare Energien europaweit in allen Sektoren vorangebracht werden. Es wird zudem ein europäischer Rahmen für den Hochlauf von grünem Wasserstoff gesetzt, insbesondere in der Industrie und auch im Verkehrsbereich.

Insgesamt wird der Ausbau der erneuerbaren Energien vom Stromsektor stärker auf die anderen Sektoren ausgedehnt und die Sektorkopplung vorangebracht. Im Wärmesektor soll der Erneuerbaren-Anteil 0,8-1,1 Prozentpunkten pro Jahr steigen. Im Verkehrsbereich erhöht sich das Ziel auf 29% Erneuerbare am Energieverbrauch bis 2030 mit Unterzielen für fortschrittliche Biokraftstoffe und erneuerbare Kraftstoffe. Hinzu kommen das erstmals verbindliche Ziel für grünen Wasserstoff in der Industrie von 35% bis 2030 und im Gebäudebereich ein indikatives Ziel für erneuerbare Energien von 49% am Energieverbrauch auf EU-Ebene bis 2030.