Fahrbericht ARI 902: Effizienter Elektro-Frachter im Mikroformat

Das Fahrzeug als Werkzeug: Das L7e-Mobil bietet solide Automobiltechnik, die für sicheres Handling, ordentlichen Komfort und hohe Effizienz sorgt. Zudem viel Platz auf wenig Fläche. Auch der Preis ist fair für ein vielseitiges Liefermobil. Nur eine Förderung für LEV fehlt!

Flott in Fahrt: Mit dem 15 kW-Motor kommt man schon klar, auch wenn er kein Reißer ist. Für gute 90 km/h reicht es auf Landstraßen, womit man kein Verkehrshindernis ist. | Foto: ARI Motors
Flott in Fahrt: Mit dem 15 kW-Motor kommt man schon klar, auch wenn er kein Reißer ist. Für gute 90 km/h reicht es auf Landstraßen, womit man kein Verkehrshindernis ist. | Foto: ARI Motors
Redaktion (allg.)
(erschienen bei VISION mobility von Johannes Reichel)

Wie viel Auto braucht der Mensch? Nach dem Dacia Spring stellt mit dem ARI 902 eine Klasse darunter ein weiterer Elektro-Mini die Gretchenfrage: Ab 13.990 Euro, also etwa preisgleich. Was ein bisschen unfair ist, weil der Dacia die volle Umweltprämie erhält, der L7e-Stromer aus Borna bei Leipzig aber nur regional oder lokal Incentivierung erhält. Wird Zeit, dass auch Leichtelektrofahrzeuge in den Genuss kommen: Schließlich vereinen sie zwei zentrale Ziele unter einer Kurzhaube: Energie- und Raumeffizienz.

In diesem Falle stellt die Frage genau genommen sogar ein Mikro, dessen japanischer Markenname zu Deutsch passenderweise Ameise bedeutet: Denn mit 2,95 Meter Länge, 1,49 Meter Breite, bei stattlicher Höhe von 1,52 Meter rangiert das von einem chinesischen Hersteller von den Sachsen für Europa adaptierte Elektroleichtfahrzeug der L7e-CU-Klasse in der Länge fast auf Smart-Niveau, in der Breite deutlich schlanker.

Downsizing als Konzept

Ohne Akku darf das Wägelchen normkonform nicht mehr als gut 600 Kilo wiegen, mit Akku kommt das E-Mikro auf 743 Kilogramm. Das ermöglicht konsequentes Downsizing und einen wohltuenden Gegenakzent zur Gigantomanie von Tesla & Co. Mit dem Akku eines Mercedes EQS-SUV könnte man zehn von den cleveren China-Krachern versorgen ... Ganz zu schweigen davon, dass ein EQS-Bolide so viel wiegt, wie dreieinhalb der L7e-Mobile.

Die mittlere Version schafft 140 Kilometer

Der mittlere Lithium-Ionen-Akku mit formal 10,35 kWh soll dabei 140 Kilometer Reichweite schaffen, was im Stadtverkehr realistisch sein dürfte. Im Überland-Betrieb, wo wir das Fahrzeug auch mal über 90 km/h bewegten, was der bürstenlose 15-kW-Elektro-Motor mit etwas Anlauf durchaus im Kreuz hat, sind gut 100 Kilometer in der mittleren Version gut machbar. Die Basisvariante mit 9,2 kWh Kapazität packt 110 Kilometer, was laut ARI-CEO und Co-Gründer Thomas Kuwatsch vielen der meist gewerblich orientierten Kunden schon genügt. Die Topversion mit 18,5 kWh ermöglicht dann den Einsatz, wenn gar keine Lademöglichkeit zur Verfügung steht. Apropos: Hier genügt ein Haushaltsstecker mit 220 Volt und der Akku ist  je nach Größe in drei bis viereinhalb Stunden wieder bei Kräften. Wer will, kann den optionalen Dachträger auch mit einem Solarpanel bestücken und den Radius weiter ausdehnen.

Pragmatisch orientierte Kunden

Den pragmatischen und dem Vernehmen nach für neue Lösungen durchaus offenen Kunden ist im Zweifel der 766 Liter große Kofferraum wichtiger, der sich in der Cargovariante durch einen Holzboden mit Zurrösen auszeichnet, über eine hoch aufschwingende Klappe trotz etwas hoher Ladebrüstung recht zugänglich ist und sich gegebenenfalls durch Streichung des Beifahrersitzes auf fast 1,5 Kubikmeter erweitern lässt! Ok, das per Drehzwingen einklinkbare Trenngitter dürfte noch weniger klappernd und für den Fall des Falles fester fixierbar eingefügt sein. Immerhin: Es gibt sogar eine Anhängekupplung, für Leichttrailer bis 350 Kilo reicht das. Ein "Tool", ein Fahrzeug als Werkzeug wolle man den Kunden liefern, betont Kuwatsch mehrfach.

Die Leichtigkeit des Auto-Seins

Die Leichtigkeit des E-Auto-Seins sorgt für ein ebenso lockeres und leichtes Handling, erst recht mit der Servo-Option, die dann auch eine Klimaanlage enthält. Die Fahrt im 902er erinnert ein bisschen an "Autoscooter für Fortgeschrittene". Man dreht per Handballen am Rad und wendet fast wie im Stand, U-Turns sind eine wahre Freude, die Übersicht ist exzellent und man quetscht sich durch die engste City-Gasse ebenso wie in die schmalste und kleinste Parklücke. Zweite-Reihe-Stehen sorgt hier kaum für Aufsehen, ein wichtiger Aspekt für die angepeilte Zielgruppe "Dienstleister, Lieferanten, Alltagshelden", wie Thomas Kuwatsch es ausdrückt. 

Geht man es etwas flotter an in Kurven, kann man sich auf eine trotz schmaler Spur und hohem Aufbau, aber dank Akku tiefem Schwerpunkt recht sichere Straßenlage verlassen, das rundum einzelradaufgehängte Mc-Pherson-Fahrwerk hält sicher die Spur, auch strammer Seitenwind sorgt nicht für Schweißausbrüche. Nötigenfalls packen die ABS-Bremsen - vorne Scheibe, hinten Trommel - in den 14-Zöllern ganz brauchbar zu.

Mobileye warnt optional bei Spurabweichung

Optional warnt das bekannte Mobileye-Nachrüstsystem laut piepend bei Spurabweichungen und Tempoüberschreitungen. Was fehlt, wäre vielleicht eine Rekuperation. Und im Eco-Modus ist die Beschleunigung dann so betulich und auch auf 75 km/h (wahlweise auch weniger) beschränkt, dass man bei Außerortbetrieb gleich wieder umswitcht. Geladen wird nach der Fahrt bestens positioniert durch die Ladeluke in der Front, die kurze und verlustfreie Wege zum Batteriemanagmentsystem und weiter in den Akku garantiert. In

Was der 902er-Elektrozwerg mit einem (konventionellen) Benz gemeinsam hat, ist die kuriose Fußfeststellbremse, aber sie tut ihren Job. Die Fahrstufen legt man per Drehregler ein, sollte dabei aber auf sauberes Stufen über "N" achten. Das Infotainment mit dem matten und nur bei grobem "Tatsch" reagierenden Screen bietet nur Basisfunktionen, verbindet das Handy aber zuverlässig, sodass man Musik aus der eigenen Dose hören kann. Die Optik des Interieurs bemüht sich um Fröhlichkeit und ansehnliches Design, klar ist das alles Plastik, aber es strahlt doch eine gewisse Lebensfreude aus. Ebenso wie das optionale Glas-Aufstelldach. Der Digi-Tacho liefert die wichtigsten Infos, eine echte Verbrauchs- zur Reichweitenanzeige sucht man allerdings vergebens.

Rückfahrkamera: Was, so viel Platz ist da!

Dafür gibt's eine Rückfahrkamera, die unnötig ist, aber dokumentiert, wie gigantisch viel Platz noch zum Bordstein ist: In einen Normstellplatz von fünf Metern passen glatt zwei 902er. Zudem nimmt man Platz auf ganz passablen, nur längverstellbare Sitzen und zwei Personen haben genug Platz an den Schultern und überm Haupt. Die in China noch vorgesehenen Notsitze im Fond sind in Europa in der kommerziellen L7e-Klasse nicht zulässig.

Wo aufgrund der Gewichtsregularien gespart wurde, das geben die Techniker aus Borna freimütig zu, ist die Geräusch- und Fahrwerksdämmung: Unwillkürlich fasst man zu den elektrischen Fensterhebern oder dem Türgriff, wenn ein Lkw vorbeirauscht. Mit Wind-, Abroll- und Antriebsgeräuschen wird nicht gegeizt. Wobei einem in dem Wägelchen auch "normale" Transporter monströs groß vorkommen und man sich nicht ernst genommen fühlt. Sollte man aber: Schließlich rollt hier ein Downsizing-Konzept erster Güte durch den Stadt- und Umland-Verkehr, das wenig Energie, Platz und mithin Ressourcen verschlingt. Und das ist auch ökonomisch gemeint. Das beste daran: Mit zwölf Wochen Lieferzeit nimmt das E-Lieferwagerl auch zeitnah den Dienst auf.

Rechnet sich für Umwelt und Unternehmen

So könnte sich der 902 ebenso für Umwelt wie für Unternehmen rechnen wie die übrigen, sorgsam aus chinesischen Quellen wie vom Traditionshersteller Chery ausgesuchten und mit Spezialaufbauten in der eigenen Karosserie-Fertigung in Ricany/Tschechien adaptierten und individualisierten Leichtelektrofahrzeuge. Mit dem 901er ist nur ein einziger N1-Van im Sortiment. Und der geht nicht als klassischer Kastenwagen, sondern meist als Pritsche zu den Kunden - einfach, weil der Markt aktuell nicht viele E-Pritschen hergibt, die auch noch erschwinglich wären.
 

Der Aufbau macht den Unterschied

Auch sonst macht der Aufbau bei ARI oft den Unterschied: Nach der simplen Erstkonfiguration nehmen Thomas Kuwatsch und sein 14-köpfiges Team rasch einen vertiefenden Telefonkontakt auf, um die Details und den geplanten Einsatz zu ergründen und das Fahrzeug weiter zu spezifizieren. Vieles sei dann aufbauseitig noch machbar, an den sage und schreibe 42 Grundvarianten der Baureihen 345 (E-Trike), 458 (der kompakte Klassiker mit diversen Aufbauten) und erwähntem 901-N1-Transporter. Der 1280 übrigens, den man aus der gleichen Quelle wie Cenntro seinen L260 bezog, stellt man nun zugunsten des 902 wieder ein - zu gering war die Nachfrage der Kunden, zu groß und stark mittlerweile die Konkurrenz im 3,5-Tonner-Segment von E-Transit, eSprinter oder ambitionierten China-Marken wie Maxus.

Wartung und Service: 1.200 Stationen - aber eh wenig zu tun

Viel Wartungs- und Servicearbeit soll übrigens bei keinem der Modelle anfallen, auch beim 902er nicht. Da geht's mal um abgefahrene Spiegel oder den Bremsservice, bei den "Low-Tech-Stromern", wie Thomas Kuwatsch schmunzelnd kokettiert. Das bekommt man über die 1.200 Servicepartner, die man mit detaillierten Reparaturanleitungen und Online-Service unterstützt, locker gestemmt. Oder eben über die mobilen Technikteams, die wie der Vertrieb zu den Probefahrten ganz bodenständig beim Kunden erscheint. Zwei Jahre, wahlweise vier und bis zu 160.000 Kilometer Garantie zeugen vom Vertrauen, das die Leipziger in den kleinen E-Wagen haben.

Und das Fahrzeug ist hier tatsächlich nur ein Puzzlestück in einem "grundsoliden" Konzept, das die Gründer seit 2017 auch als Reaktion auf den StreetScooter organisch wachsen ließen. Und sino-sächsisch-tschechisch das Beste aus drei Welten vereinen. Berührungsängste hat Kuwatsch da nicht: Wenn die seit Jahrzehnten im E-Segment erfahrenen chinesischen Anbieter helfen, die Elektrifizierung hierzulande zu "demokratisieren" helfen, selbst wenn in China die Diktatur immer rigider wird.

Was bedeutet das?

Jede Wette, der 902er wird einiges an "Beifang abfischen", den die ARI-Macher so nicht anpeilen: Pragmatische Privatleute mit kleinem Geldbeutel und kleinem Radius dürften mit dem Wägelchen aus Sachsen sehr glücklich werden. Weil sich zwei Personen, nebst jeder Menge "Krempel" oder Haustier damit transportieren lassen, der Platz- und Energiebedarf niedrig ist und sich das Mobil an jeder Haushaltssteckdose laden lässt, am besten natürlich mit dem eigenen Solarstrom oder dem dacheigenen Solarpanel. Schwer sympatisch, der leichte Sino-Sachse!