Fahrbericht Iveco eDaily: Starkes Strom-Paket mit großer Bandbreite

Mehr Reichweite, mehr Power, mehr Variabilität - mit der neue eDaily bringt Iveco auf Augenhöhe mit der Konkurrenz. Und man kann dank des für Elektrifizierung wie geschaffenen Leiterrahmens noch etwas mehr.

Mehr auf dem Kasten: Der singlebereifte 4,25-Tonner-eDaily packt Nutzlast wie ein Diesel, einen großen, elektrisch gekühlten Frigo-Koffer und darf mit B-Schein gefahren werden. | Foto: Iveco
Mehr auf dem Kasten: Der singlebereifte 4,25-Tonner-eDaily packt Nutzlast wie ein Diesel, einen großen, elektrisch gekühlten Frigo-Koffer und darf mit B-Schein gefahren werden. | Foto: Iveco
Johannes Reichel

"Was heißt hier ,Skateboard'! Wir nennen es Leiterrahmen": Iveco-Group-CEO Gerrit Marx lässt wenig Zweifel, was er von den hippen Verbalverrenkungen der vielen Start-ups im Nutzfahrzeugbereich hält, die mit der Elektrifizierung der Antriebe "El Dorado" wittern und mit cool klingenden Konzepten fleißig Investorengeld einsammeln. An die Erfahrung, die Industrialisierungs- und Skalierungsmöglichkeiten eines etablierten Herstellers würden sie aber nicht heranreichen. Zumal Marx auf die mittlerweile dritte Generation und zehn Jahre Erfahrung in der Entwicklung elektrifizierter Daily-Transporter verweist - wenngleich die ersten beiden doch eher in Kleinserienstadium verharrten. Doch jetzt sehen Marx und sein Team die Zeit reif: Mit dem neuen eDaily hat Iveco einen komplett neuen Antriebsstrang aus Motor, Batteriemanagement und Akkus vorgestellt, der den Leiterrahmentransporter ins neue Zeitalter katapultiert.

Komponenten clever integriert

Und wenn man nur lange genug festhält an einem Konzept, dann passt es irgendwann perfekt. Ein kräftiger elektrischer Hinterradzentralsynchronmotor vom chinesischen Spezialisten GE Wolong (90 kW Dauer, 140 kW Peak, 92 Prozent Wirkungsgrad, 350.000 km Laufleistung), dazu ein energiedichter und moderner NMC-Akku in bis zu drei 37-kWh-Modulen des US-Spezialisten Microvast mit satten 95 Prozent nutzbarer Kapazität, ein flotter 22 kW-AC- sowie ein optionaler und für die Anwendungen ausreichender 80-kW-DC-Bordlader und ein eigenständiges Batteriemanagementsystem (BMS) und Software von Iveco, das aus dem Ganzen mehr machen soll, als die Summe der einzelnen Teile. Kombiniert wird das mit den bekannten Stärken des Leiterrahmenkonzepts, bei dem die im neu eröffneten ePowertrain-Werk in Turin vormontierten Elemente aus Antrieb und Akkus perfekt in die Leerstellen im Stahlkonstrukt passen und sich übrigens auch binnen eines Tages tauschen oder ergänzen lassen, wenn die "Mission" sich erweitern sollte. Unter der Haube finden noch BMS und Nebenaggregate Platz. Fertig ist der Daily für die neue Zeit.

Angenehmes Fortkommen

Und der fährt sich ziemlich gut, wie wir bereits bei einer allerersten Tour auf der IAA TRANSPORTATION im wahrsten Sinne des Wortes erfahren konnten. Dank adaptivem Drehmomentmanagement gelingt stets ein geschmeidiger Antritt, flotte Beschleunigung, wenngleich nicht ganz so forsch wie der Ford E-Transit-Antrieb, abgesehen vom bewusst technisch ausgelegten Langsamfahrgeräusch leises Betragen und bis auf leichte Vibrationen im High Power Modus, die nicht vom Motor, sondern eher der Karosserie stammen. Es hat sich ausgedieselt - und das ist, auch wenn der Selbstzünder zuletzt immer besser wurde, gut so.

Speziell im Stadtverkehr ist der automatische E-Antrieb ein Segen und selbiges ist das Fahrzeug auch für die belastete Turiner Luft. Den Powermodus kann man eigentlich gleich mal vergessen, es sei denn, man will wirklich die bis zu 3,5 Tonnen strammer Anhängelast befördern und öfter mal 18-Prozenter bewältigen, die der Iveco als 3,5-Tonner stolz ins Feld führt. "Eco" tut's in der Stadt auch. Und für Überland- oder Autobahnetappen genügt "Standard" und der Antrieb erreicht auch hier seine praxisnahe Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h - und zwar sehr zügig. Einfädeln auf die Schnellbahn gelingt jedenfalls mühelos, auch Überholvorgänge sind rasch erledigt.

Standhafter Akku

Auch dabei erweist sich der VDA-genormte Akku als standhaft, bricht nicht etwa ein, wie bei früheren E-Vans. Und so zählt die Reichweitenanzeige zuverlässig runter, beziehungsweise die Prozentanzeige in der Stadt auch mal rauf, wenn die Speicher sich wieder vollsaugen mit Roll- und Bremsenergie. Mit 88 Prozent waren wir gestartet, bei einem City-Überland-Zirkel über 50 Kilometer waren 14 Prozent Energie geschwunden, wobei die Verbrauchsanzeige in den Vorserienfahrzeugen noch "festhing".

Um die 25 kWh/100 km dürften realistisch, aber auch machbar sein oder 120 Kilometer mit einem Akku, 235 mit zweien und 300 km mit drei Speichern. Letztere gibt es dann allerdings nur ab dem nutzlaststarken und in Deutschland auch mit B-Führerschein fahrbaren 4,25-Tonner (mit Singlebereifung am Heck) sowie in den längeren Rahmenversionen, wobei man mit jedem Akku auch 260 Kilogramm Nutzlast einbüßt, während die Einakku-Version nur 130 Kilo gegenüber dem Diesel verliert. Die 42S-Version mit zwei Akkus jedenfalls erreicht Diesel-Äquivalent bei der Nutzlast, wie auch die 38S-Version bei einem Akku. Ab dem 42C ist dann die belastbare Zwillingsbereifung obligatorisch. Das ist ebenso eine Alleinstellung wie die für den 5- und 7,2-Tonner erhältlichen kürzeren Übersetzungen. 

Eine Batterie dürfte vielen genügen

Auch wenn Iveco das größte Ordervolumen für die Zweiakku-Variante erwartet, für viele urbane Anwendungen dürfte die preisgünstige Einakku-Lösung genügen, sollte sich das E-Package in der Praxis auch so standhaft erweisen. Hier gilt dann allerdings eine 160.000-Kilometer-Garantie auf acht Jahre, während es mit zwei oder drei Akkus 250.000 Kilometer sind - bei 80 Prozent Kapazität am Ende der Laufzeit, betont der Hersteller und wirbt damit um Vertrauen für die Akkutechnologie des Kooperationspartners. Hinzu kommt, dass bei 22 kW der eine Akku binnen zwei, bei 11 kW binnen drei Stunden wieder geladen sein soll. Der ab zwei Akkus optionale, moderat, aber kostenschonend dimensionierte 80-kW-Lader (1 Akku 40 kW) füllt dann in einer halben Stunde 100 km Reichweite oder in einer Stunde auf 80 Prozent nach und soll die volle Leistung über die gesamte Ladezeit aufrechterhalten. Gut gefällt die zentrale Platzierung des Ladeanschlusses im Grill, hinter einer etwas wackelig wirkenden Klappe. Eine LED-Leiste informiert direkt über den Ladestand.

Dreistufige Rekuperation

Die Rekuperation lässt sich in drei Stufen am etwas anachronistisch verbleibenden Schaltknauf modulieren, Ein-Pedal-Fahren sorgt für strammen Zug aus dem Sitz, wobei man das Bremspedal vor der Ampel nicht vergessen sollte. Der Segel-Modus lässt dann wirklich schön "trucker-mäßig" rollen, wobei im Hintergrund der Fahrstil analysiert und mit einem graphischen Zeugnis versehen wird. Apropos: Der eDaily rollt auch recht leise ab, die Steifigkeit des ganzen Konstrukts scheint durch die Akkus im Rahmen weiter an Festigkeit zugelegt zu haben. Die optionale Luftfederung Air Pro, die im Testmodell verbaut war, sorgt für Anpassung an die Ladung (hier 600 Kilo Ballast) und zusätzlich guten Komfort.

Auch beim Thema Fahrerassistenz lässt Iveco natürlich nichts anbrennen und fährt auf zeitgemäßem Level-2-Niveau, samt präzise regelndem Abstandstempomat, aktiver Spurassistenz, Auspark- und aktiver Notbremsassistenz sowie High-Res-Rückfahrkamera. Für Konnektivität sorgt wiederum die Sprachassistenz mit Integration von Amazons Alexa sowie eine Fahrzeug-App mit Fernsteuerung der Ladefunktionen und Überwachung der Fahrzeugdaten. Das Infotainment mit Touchscreen wirkt klar, ist logisch bedienbar und professionell gemacht, eine Routing-App erleichtert die elektrische Tourenplanung, sogar unter Berücksichtigung des erwarteten Einsatzes der ePTO. 

ePTOs: Auch der Aufbau wird elektrisch

Ebenso raffiniert ist auch das Programm an ePTOs, das sich auffächert in drei Versionen, von der 2,5-kW-12-Volt-Variante für leichte Kipper oder Ladebordwände, die unter der Haube Platz findet, über die 15-kW-Version mit 400 Volt etwa für Frigo-Anwendungen, die dann ebenso zwischen dem Rahmen Platz findet wie die High-End-Version mit 15 kW, eine mechanische ePTO oder eigentlich ein elektrischer Hilfsantrieb, die dann auch fit für den elektrischen Betrieb von Pumpen oder Hydraulikaufbauten ist, wie eine elektrische Müllpresse, die der Hersteller ebenso vorführte. Besonderer Clou: Die ePTO kann während des Ladens den Strom aus dem Netz nutzen statt der Antriebsbatterie zur Last zu fallen. Ach so, und natürlich garantiert man auch für die verstärkte Nutzung der ePTO eine Lauf- respektive Arbeitsleistung des Akkus, hier in 56 MWh angegeben. Hier geht der Hersteller also deutlich über das sogenannte Pro Power-Package hinaus, das 2,3 kW und externen Stromanschluss im Laderaum bietet.

Marktstart ab Frühjahr 2023 - Feldtests mit Fuel-Cell

Sämtliche Aufbaulösungen haben darüber hinaus schon seriennahes Niveau - sprich Hand und Fuß. Kein Wunder, schließlich hat man sich schon im Vorfeld mit über 60 Aufbaupartnern eng abgestimmt, die Aufbauten etwa virtuell "montiert" und die analogen und digitalen Schnittstellen optimiert. Und so soll die Markteinführung auch bald und in Wellen erfolgen: Deutschland gehört zur ersten, der eDaily startet ab dem ersten Quartal 2023 in den Markt.

Länger warten muss man noch auf den ebenfalls, aber noch im Protoypenstadium präsentierten Fuel-Cell-Daily mit komplett und kostenschonend vom Hyundai Nexo übernommenen Brennstoffzellensystem, für den man bei einem Viertel der Kunden mit höherem Last- und Streckenbedarf über 350 Kilometer aber durchaus einen "Use case" und Nachfrage sieht. Hier verbleibt einer der Akkus als Energiespeicher, den Raum füllen sonst sechs 700-bar-H2-Tanks mit 10 Kilo Kapazität. Inklusive der 50-Kilometer rein elektrisch schafft der als 7,2-Tonner konfigurierte FCEV-Daily damit 400 Kilometer Radius, bei einer Nutzlast von zum BEV fast identischen 2.900 Kilogramm und einer Tankzeit von 15 Minuten. In den nächsten Jahren will man damit nun Erkenntisse in Feldtests sammeln.

Tor zur E-Mobilität: GATE als digitale Mietplattform

Über die Preise schwieg sich Iveco aber so oder so noch aus, versprach dafür ganz zeitgemäß Unterstützung bei Ladeinfrastruktur, Telematikanbindung per standardmäßig verbautem GPS-Modul sowie Leasingmodellen über die eigens gegründete Digital-Plattform für Langfristmiete zum Komplettpreis "Gate", etwa auch nach dem "Pay-per-Use-Prinzip", das eine Art "Van-Sharing" darstellen soll. Hier will man dem Kunden quasi alles abnehmen, was nicht unmittelbar mit seinem eigentlichen Geschäft zu tun hat. Wie auch immer: Der eDaily dürfte aber deutlich günstiger kommen als der sündteure Vorgänger mit Supercaps und Eisenphosphat-Akkus. Und so den Stromer bald zum Standard machen. Schließlich lautet der Anspruch des Herstellers für den eDaily: Gleiche Mission wie der Diesel - nur ohne Emissionen und zu deutlich günstigeren Kosten, nebst "vorausschauender Wartung". Mit der Zeit soll der eDaily dank obligatorischer "Updates over the Air" sogar immer noch besser werden. So will man Ökologie und Ökonomie unter einer Kurzhaube vereinen.