Fahrbericht Mercedes Vito/eVito Tourer: Ein Van, zwei Antriebswelten

Die Van-Sparte von Mercedes-Benz differenziert das Programm mit der Überarbeitung des Vito neu: Jetzt gibt es zwei Elektro-Varianten, wie gehabt die für Handwerk und Logistik, eine für private und gewerbliche Shuttle-Dienste mit dem 90-kWh-Akku und Antriebspaket vom EQV.

Klarer Fall: Zwar hat der Diesel mit dem Generationswechsel stark an Laufkultur und wohl auch Sauberkeit gewonnen. Er kann aber längst nicht mit dem flüsterleisen und emissionsfreien eVito mithalten, den es jetzt als Langstreckler gibt. | Foto: Daimler
Klarer Fall: Zwar hat der Diesel mit dem Generationswechsel stark an Laufkultur und wohl auch Sauberkeit gewonnen. Er kann aber längst nicht mit dem flüsterleisen und emissionsfreien eVito mithalten, den es jetzt als Langstreckler gibt. | Foto: Daimler
Johannes Reichel

Eines schickt sich nicht für alle – das wusste schon Meister Goethe. Auch den Daimlers in Untertürkheim ist das bewusst. Und so differenziert der Hersteller mit der Überarbeitung des Kompaktvans Vito das Elektro-Programm nach Einsatz im Fracht- und im Personentransport. Für die Logistiker oder Handwerker habe sich die Reichweite mit dem 41-kWh-Akku (nutzbar 35 kWh) und 85-kW-Elektromaschine als völlig ausreichend erwiesen, erklärt ein Verantwortlicher beim Fahrtermin im Daimler-Werk in Waiblingen. Hier werde tatsächlich selten mehr als 150 Kilometer täglich absolviert. Weswegen der Kastenwagen mit diesem elektrischen Antriebsset im Programm bleibt. Bei der Kombiversion wiederum sei die Resonanz der Piloteinsätze so gewesen, dass die Kunden in der gewerblichen Personenbeförderung wie Taxi, Ride-Sharing-Dienste oder Hotelshuttles klar nach mehr Reichweite verlangt hätten.

Wie bei Tesla: Bodenfüllendes 100-kWh-Akku-Paket

Die bekommen sie jetzt – und zwar üppig. Mit dem Antriebs- und Akkupackage aus der elektrischen Nobel-Großraumlimousine EQV samt formatfüllendem 100-kWh-Akku (90 kWh nutzbar) und strammer 150-kW-E-Maschine mutiert der eVito Tourer zum Mittel- oder gar Langstreckenexpress. Bis zu 421 Kilometer weit soll das Fahrzeug mit dem Lithium-Ionen-Trumm, das den Unterboden des in lang und Extra-lang erhältlichen Transporters ziemlich komplett belegt und das Gesamtgewicht des 9-Sitzers grundsätzlich auf 3,5 Tonnen (!) steigert, kommen, was einem Verbrauch von 26,2 kWh entspräche. Und sogar Personen-Expressfahrten quer durch Deutschland erscheinen möglich. Denn das Fahrzeug verfügt nebenbei auch noch über den DC-Schnelllader an Bord, der die Speicher mit optional 110 kW Leistung (Serie 50 kW) binnen einer dreiviertel Stunde von 10 auf 80 Prozent Kapazität bringen soll. Mit dem serienmäßigen 11-kW-AC-Lader wären es dann 10 Stunden, was über Nachladen als realistisch erscheinen lässt.

Abgrenzung: Beim Kastenwagen genügt das kleine Akku-Set

Beim eVito Kasten wiederum setzt man auf ein reduziertes und preiswerteres Package mit 7,4-kW-Bordlader, der die 41-kWh-Speicher (35 kWh Netto) binnen sechs Stunden von Null auf Stand 100 Prozent bringt. Das erscheint durchaus praxistauglich und den Anwendungen angemessen, wenn man überlegt, dass Zwischenladen bei den Abläufen etwa in der Logistik selten vorgesehen ist und der Anschaffungspreis eine überaus große Rolle spielt für die etwaige Amortisation. 85 kW und 295 Nm Drehmoment sind ohnehin schon üppig genug, um im Stadtverkehr an der Ampel stets vorne mit dabei zu sein, um dann cool rollen zu lassen oder die Rekuperation zu nutzen.

Fährt (fast) wie von selbst: D-Auto-Modus neu

Bei diesem Thema haben die MB-Vans-Entwickler beim eVito Tourer noch mal eins oben drauf gesetzt: Mit dem D-Auto-Modus passt der E-Van den Rekuperationsgrad auch im Stadtverkehr an den Verkehrsfluss an und man kann sich sogar den Griff zu den Lenkradpaddeln sparen, der beim eVito-Kasten in drei Stufen den Verzögerungsgrad von sanft bis sehr stramm regelt. Wer die strammste Stufe aktiviert lässt, ist mit dem eVito wie mit dem eVito-Tourer im sogenannten Ein-Pedal-Modus unterwegs und kann getrost die Betriebsbremsen vergessen, die nötigenfalls aber wie gewohnt kraftvoll zupacken.

Elektrisierend: Auch im Economy-Modus noch 293 Nm stark

Wie beim eVito Kasten gibt es drei Fahrprogramme: Komfort, Economy und Economy +, die vor allem Leistung und Drehmoment begrenzen. Standardmäßig fällt die E-Maschine mit 150 kW und 362 Nm über die Vorderräder her, was das ESP ordentlich arbeiten lässt und bei Nässe so manches Traktionsproblem aufgeben dürfte. Bei Economy + sorgen immer noch 80 kW und 293 Nm für völlig ausreichenden Vortrieb. In jedem Fall schiebt ein Begrenzer bei serienmäßig 140 und per Sonderausstattung 160 km/h dem nahtlosen Beschleunigungstreiben einen Riegel vor. Und das ist gut so, denn wer es rauchen lässt, der bekommt schon auch mal Verbräuche über 40 kWh als Quittung von dem schweren Wagen. Bei vernünftiger Fahrweise kamen wir über eine erste 50-Kilometer-Berg-und-Talfahrt rund um Waiblingen mit gemischtem Stadt-Land-Autobahnbetrieb auf 22,5 kWh/100 km, was die Werksangaben realistisch erscheinen lässt.  

Hält auf Abstand: Distronic, aber kein aktiver Spurhalter

Neu beim eVito Tourer ist auch die Distronic, die aber für alle Vito erhältlich ist und bei ersten Fahrten sehr gefühlvoll den Abstand zum Vorausfahrenden hielt, ein Feature, das eindeutig auf der Autobahn ideal ist, im Stadtverkehr mit den vielen Eventualitäten weniger. Dennoch beherrscht der eVito Tourer auch das Abbremsen bis zum Stillstand. Für einen Stop-and-Go-Betrieb muss der Fahrer dann lediglich das Fahrpedal wieder antippen und weiter geht es im Gänsemarsch. Was der Vito weder konventionell noch elektrisch beherrscht, ist eine aktive Spurkorrektur. Hier bleibt der Hersteller hinter dem Wettbewerb zurück. Ein diskretes Vibrieren und Akustikwarnung muss genügen. Auf die als relativ grob empfundenen Bremseingriffe nach „Hallo-wach-Manier“ wie beim größeren Sprinter verzichtet man hier. Ebenfalls optional an Bord ist ein aktiver Bremsassistent, der vor Auffahrgefahr sehr frühzeitig warnt und nötigenfalls selbst in die Bremse eingreift. Er reagiert auch auf Fußgänger oder Radfahrer.

Digitale Rückschau: Der virtuelle Spiegel überzeugt

Etwas gewöhnungsbedürftig ist das neue Goodie des „digitalen Rückspiegels“, mit dem der Vito eine Alleinstellung markiert. Eine Kamera in der Heckscheibe nimmt dabei den rückwärtigen Verkehr auf und stellt ihn im Rückspiegel hochaufgelöst dar – und zwar in doppelter Breite eines konventionellen Spiegels. Auch wenn man erst dem Frieden des digitalen Bildes nicht recht traut, man fasst schnell Vertrauen und weiß das breite Bild vor allem auch dann zu schätzen, wenn Passagiere oder Fracht sonst den Blick durch den Spiegel behindern würden. Und wenn man doch mal nach der Fracht oder den Passagieren schauen will, kann man den Abblendtaster betätigen und bekommt das direkte „Rückbild“ ganz analog gespiegelt.

Als angenehm und angemessen empfanden wir die neuen Audio-Systeme, die auch ohne den dem Sprinter und V-Klasse vorbehaltenen MBUX-High-Tech-Infotainment einen guten und völlig ausreichenden Job machen und die Kosten im Rahmen halten. Die Topversion Audio 40 beherrscht auch die „Live-Traffic-Navigation“ in 3D-Optik, in Kombination mit der Pro Connect genannten Werkstelematik. Wer ohnehin sein eigenes Handy und Google Maps & Co als Navi nutzt, wird sich über die Carplay/Android-Auto-Funktionalität freuen und kann sich mit dem Audio 30 bescheiden, das über identischen 7-Zoll-Touchscreen verfügt.

Diesel: Deutlich kultivierter, aufwändig gesäubert

Im Vergleich des eVito Tourer mit dem direkt im Anschluss gefahrenen „Verbrenner“-Pendant mit neuem und nach Euro 6 dTemp sauberen 2,0-Liter-Diesel fällt vor allem eines auf: Der Selbstzünder mag noch so sehr in der Laufkultur verbessert worden sein, beim Ausdrehen auch nicht mehr so rustikal lärmen, erst recht das Topaggregat mit 239 PS (!)  flott beschleunigen und höchst elastisch durchziehen, die neue 9-Gang-Automatik die Gänge ruckfrei und sanft sortieren und selbst Gefälle intelligent antizipieren, wenn der Gang gehalten wird. Aber an den Antriebskomfort eines E-Vito kommt das feine konventionelle Motorenwerk OM654, das mit gewaltigem Aufwand zweier SCR-Kats bedient aus einem jetzt 24-Liter großen AdBlue-Tank, eines Oxi-Kats, eines Rußpartikelfilters, einer Hoch- und Niederdruckabgasrückführung, Stufenmulden-Brennverfahren sowie der „Nanoslide-Laufbahnbeschichtung“ (O-Ton) auf das erlaubte Emissionslevel gebracht werden muss, bei weitem nicht heran.

Andere Antriebs-Welt: Stromer mit hohem Komfortniveau

Sei es der ansatzlose Antritt, die lautlose Beschleunigung oder das sanfte Dahingleiten, E-Van-Fahren fühlt sich an wie Mobilität 2.0. Zumal der 2,0-Liter-Diesel, schon in der 114er-Basis 330 Nm potent, noch immer nicht zu den allerkultiviertesten zählt und akustisch mit sonorem Brummeln stets präsent bleibt. Gut, urbanen Logistikern sei ohnehin zum Fronttriebler mit 1,7-Liter-Renault-Motor geraten (102/136 PS; 270/330 Nm), der aber noch nicht zur Verfügung stand. Einen Vorteil verzeichnet der „Verbrenner“ aber beim Handling, wo der 3,0-Tonner leichtfüßiger wirkt und ja auch ist. Der zum Fronttriebler 700 Kilo und selbst zum Allrad 500 Kilo schwerere eVito Tourer mit seinen über 2,5 Tonnen Leergewicht schaukelt da schon ein wenig mehr nach, wenngleich die tiefe Einbaulage der Akkus den Schwerpunkt senkt und den Strom-Tourer immer satt und sicher auf der Straße liegen lässt.

Bis zu 13 Prozent sparsamer - aber eben nicht emissionsfrei

Noch ein Wort zur Effizienz: Der Diesel soll bis zu 13 Prozent sparsamer geworden sein. Aber wenn man überlegt, dass ein Liter Diesel 10 kWh an Energie enthält und in der Herstellung auch noch einmal mindestens 1,5 kWh/Liter an Energie aufgewendet werden muss und man dann von einem Verbrauch von im Bestfall 6,5 l/100 km ausgeht, dann entspräche das 75 kWh/100 km, dreimal so viel Energie wie der Stromer. Wenn man dann noch über die Wartungskosten und den Verschleiß des Verbrenners sinniert, relativieren sich die derzeit noch bestehenden Mehrkosten der E-Versionen: Der eVito Tourer startet bei 53.990 Euro netto, inklusive vierjährigem Full-Service-Wartungspaket, der eVito Kasten bei 44.990 netto. Wobei: Die Serviceintervalle sind zwar mit 40.000 km identisch, aber anders als der Verbrenner muss der Stromer jährlich in die Werkstatt zum wohl weit günstigeren Check.  

„Das Vierzylinder-Diesel-Aggregat OM 654 ist ein Meilenstein der Diesel-Technologie. Durch deutliche Kraftstoffeinsparungen überzeugt der Dieselmotor zudem auch in Sachen Effizienz“, fasst Andreas Hasselwander zusammen, Chief Engineer Mercedes-Benz Midsize Vans.

Das mag sein. Aber ein Meilenstein in Sachen Antrieb und Effizienz sind der eVito und sein „großer“ Bruder eVito Tourer. Die machen klar, wo die Reise hingeht. Gerne auch in die Ferne.