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Fahrbericht Nissan Interstar: Mit dem Stromer fährt man besser

In Sachen Komfort, Performance, Effizienz und Emission lässt der BEV dem Diesel keine Chance im direkten Vergleich des neuen großen Nissan-Transporters. Die Preislücke von 13.000 Euro muss man aber erst einmal zufahren. Bei beiden lockt eine Fünf-Jahres-Garantie, beim BEV gibt es acht Jahre auf den Akku.

Zukunftsfähig: Der E-Antrieb überzeugt nicht nur in der Stadt, sondern auch Überland und dank 130-kW-Lader sogar auf Mittel- oder Langstrecken. | Foto: Nissan
Zukunftsfähig: Der E-Antrieb überzeugt nicht nur in der Stadt, sondern auch Überland und dank 130-kW-Lader sogar auf Mittel- oder Langstrecken. | Foto: Nissan
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Johannes Reichel

Es ist am Ende wie bei vielen anderen Herstellern mit Elektro und Diesel als Alternative: Ginge es nur nach den Fahreigenschaften, auch beim neuen Nissan Interstar, dem technischen Zwilling des Renault Master, wäre der BEV klar erste Wahl. So leise, fast unhörbar surrt er mit dem 105-kW-Synchronfrontmotor dahin, so nahtlos und zügig, aber mit moderaten 300 Nm Drehmoment nicht zu zackig und damit reifenschonend beschleunigt die E-Version und so (lokal) emissionsfrei ohnehin. Bei 120 km/h auf der Autobahn ist allerdings Schluss, was trotz der geschliffenen und um 20 Prozent verbesserten Aerodynamik vernünftig ist, will man den Verbrauch nicht über die 30-kWh/100 km-Marke treiben.

Der Budget-Stromer mit kleinem Akku könnte für KEP passen

Wer mehr braucht und zur „Nachexpress“-Fraktion gehört, kommt damit am Diesel nicht vorbei: Der marschiert brachial bis auf 180 km/h. Dann muss einem der Verbrauch allerdings ziemlich egal sein. Mit dem BEV-Tempolimit kommt man bei hohem BAB-Anteil der kurzen 40-Kilometer-Runde mit 26 kWh/100 km hin, die 21,5 kWh/100 km Werksangabe dürften in der Stadt und Überland durchaus machbar sein. Und so könnte es auch mit den 460 Kilometer Reichweite klappen, die der Hersteller formal und maximal angibt, für die größere Batterieversion mit 87-kWh-Unterflurspeicher. Viele KEP-Dienste werden da die Budget-Lösung mit 40-kWh-Akku bevorzugen, die 200 Kilometer bieten soll und einiges billiger kommt, etwa 5.000 Euro dürften es sein.

Auch im Eco-Modus, in dem die Leistung dann beschränkt ist, lässt sich der Sparbetrieb per Kickdown „überstimmen“. Dann übergeht das System auch das Eco-Limit von 90 km/h. De facto ergibt sich schon mit dem normalen Modus ein flüssiges Fahren nur mit dem Strompedal. Im mittels dem etwas staksigen Fahrmodushebel eingelegten B-Modus rekuperiert der Motor dann als Generator noch strammer und erübrigt Beibremsen fast völlig. Leider aber nicht bis zum Stillstand, da heißt es, rechtzeitig den Fuß aufs Bremspedal zu bekommen.

Anachronismus: Drehen am "Zündschlüssel"

Seltsam ist, dass die E-Variante noch per „Zündschlüssel“-Dreh gestartet werden muss, auch die „Handbremse“ als mechanische Lösung passt nicht ins eigentlich so moderne Bild. Das hat der Interstar mit seinem konventionellen Bruder gemeinsam und spart sicher ein paar Euro, am falschen Fleck, wie wir finden. Dafür ist bei der 87-kWh-Version der in der Praxis durchaus relevante 22-kW-AC-Lader Serie, nebst dem 130-kW-DC-Gerät, das den Stromer in einer halben Stunde mit 252 Kilometern Reichweite versorgt. Von zehn auf 100 Prozent dauert es bei 22 kW auch nur vier Stunden, akkuschonender als DC-Betrieb.  

Das Diesel-Pendant als 150-PS-Version wirkt im direkten Vergleich abgesehen von der „Waffengleichheit“ bei Handbremse und Schlüssel unkomfortabel und altbacken. Das Gekuppel (mit der eher unpräzisen Kupplung) und Gerühre (am eher unpräzise geführten Knauf) hat man fast schon verlernt. Und der neu entwickelte und mit großem Aufwand aus Doppel-SCR-Kat (20 l AdBlue-Tank), Oxikat und Dieselpartikelfilter auf Euro 6e bereinigte Selbstzünder mag für sich noch so leise und kultiviert laufen, an den Komfort der Synchronelektromaschine kommt er einfach nicht heran.

Der Diesel braucht, bis er auf Touren kommt

Schon gar nicht an die Performance: Denn typischerweise dauert es erst die berühmte Rudolf-Diesel-Gedenksekunde, bis der Turbolader genug Druck aufbaut. Dann geht es unter moderatem, aber eben doch deutlich vernehmlichen Knurren ebenfalls recht flott voran. In Teillast lässt man die elastische Maschine mit ihren 380 Nm schön von unten heraus arbeiten – und hört dann nicht allzu viel, außer diskretem Gebrummel. Trotzdem: Ein kompletter Arbeitstag mit unzähligen Schaltvorgängen ist da ungleich anstrengender als im BEV.

Und ungleich emissionsreicher: Die 8,4 l/100 km, die wir bei der Überland-BAB-Fahrt erzielten, dürften innerstädtisch dann anders als beim BEV eher deutlich in Richtung der 10-Liter-Marke tendieren, was etwa 100 kWh/100 km an Energieäquivalent entspräche, nur um die Effizienzrelation zu verdeutlichen. Und den Werksverbrauch von 7,4 l/100 km zu erreichen, schafft man zwar, aber nur mit sehr gezügeltem Gasfuß. Immerhin: 1,5 Liter weniger als der Vorgänger.

Partikelfilter auf Kurzstrecke: Keine gute Kombi

Auf einen weiteren Faktor weist uns die Mitfahrerin hin, die für einen rheinischen Dachdeckerbetrieb zur Probefahrt angereist ist: Die Dieselpartikelfilter setzen sich bei hohem Kurzstreckenanteil häufig zu, was nervt und Zweit sowie Geld kostet. Vorteil BEV an dieser Stelle. Dafür muss er bei der Anhängelast den Diesel im wahrsten Sinne des Wortes „ziehen“ lassen: Mit zwei Tonnen dürfen 500 Kilo weniger an den Haken. Für KEP-Dienste weniger ein Faktor, für Dachdecker unbedingt ein wichtiger Aspekt. Wobei da auch 2.500 Kilo eher zu wenig sind – und ein Pick-up mit 3.500 Kilo Trumpf.

Hoher Komfort, gute Nutzlast

Ansonsten gleichen sich die Interstars als BEV oder ICE (Internal Combustion Engine) wie ein Ei dem anderen: Der Fahrkomfort liegt in beiden Fällen auf hohem Niveau, vielleicht liegt der BEV noch etwas satter als ohnehin auf der Straße, kein Wunder, mit seinem „Standardballast“ an Bord. Die Federung ist kommod, das Abrollen leise, die Windgeräusche gut unterdrückt, was vor allem beim BEV aufgrund der fehlenden Geräuschquelle Verbrenner auffällt. Die Bremsen reagieren ebenfalls eher soft, packen aber nötigenfalls sehr kräftig zu. Die Lenkung ist leichtgängig, könnte etwas mehr Fahrbahnkontakt bieten. Wichtiger ist aber, dass der Wendekreis mit 12,8 Meter um 1,2 Meter kleiner misst, als im eher unhandlichen Vorgänger.

Klar, dass auch der Laderaum „hüben wie drüben“ gleich gut nutzbar ist – und ohnehin deutlich verbessert wurde: Breitere Schiebetür (1,31 m), mehr Ladelänge (bis 3,85 m bei L3), schön tiefer Einstieg, solide Verarbeitung und zahlreiche Derivate sowie Ausbauten im Nissan-Sortiment, vom 10,8-Kubik-Standard-Kastenwagen bis zur 22-Kubikmeter-Kofferversion ab Werk, zudem die Ausweitung auf 4-Tonnen-Fronttriebler (als BEV 1,5 t Nutzlast, als Diesel 1,9 t) sowie 4,5-Tonnen-Hecktriebler.

Geräumiges und wohnliches Interieur

Auch das Interieur ist wie beim Master deutlich hochwertiger und wohnlicher geworden, praktischer sowieso mit den 135 Litern an Ablagen. Die Sitze sind nicht mehr wachsweich, sondern angenehm straff, die Stoffe hautfreundlich und robust, die Übersicht vom Fahrerplatz zur imposanten, eigenständig gestalteten „Nissan-Nordwand“ gut. Das optionale digitale Instrumentencluster löst etwas matschig auf, das Infotainment ist nicht der letzte Schrei, aber man kommt klar, zumal wenn man ohnehin Apple Carplay oder Android Auto nutzt, kabelgebunden allerdings. Selbstredend gibt es auch einen digitalen Rückspiegel, die analogen Rückblicker sind aber auch gut gemacht und lassen kaum Fragen respektive Winkel offen.

Die Fahrerassistenz auf Level 2 muss man gar nicht mehr extra betonen, wobei die Verkehrsschilderkennung im Google-Maps präziser funktioniert, als die oft irrende Kamera-Eigennavi-Mixtur, die mit permanentem Gebimmel nervt. Aktive Spurassistenz, Notbremse mit Fußgängererkennung, Abstandstempomat, Rund-um-Kamera, all das gehört auch beim Interstar (optional) zum guten Ton und funktioniert nach kurzer Eingewöhnung anständig.

Fünf-Jahres-Garantie - und acht Jahre auf den Akku

Gleichheit herrscht natürlich auch bei der Garantie, mit der man sich bei Nissan von den Allianz-Geschwistern aus Frankreich abgrenzen will: 5 Jahre sind Standard, bis 160.000 Kilometer. Und beim BEV stiften acht Jahre Garantie auf den Akku, ebenfalls bis 160.000 Kilometer dazu. Womit man bei der finalen, der Preisfrage wäre: 15.000 Euro Differenz trennen bei der für den BEV zwingenden, höheren Ausstattung N-Connecta den Elektro- vom Diesel-Interstar 6-Gang-Handschalter, 13.000 sind es im Falle der 9-Gang-ZF-Automatik-Version, die man gerechterweise heranziehen müsste. 53.380 Euro Netto für den BEV sind zwar selbstbewusst, aber eben längst nicht mehr so utopisch teurer wie BEVs noch vor ein paar Jahren waren. Hier wie dort gibt’s ein Wartungsintervall von zwei Jahren oder alle 30.000 Kilometer, kein Glanzwert hier.

E-Antrieb ist reif für den Markt

Der E-Antrieb sei reif für den Markt, meint denn auch LCV-Produktchef Andrew Limbert von Nissan Europe. Viel Geld werden die einen jetzt sagen. Oder wenig, wenn man es auf die TCO umlegt und über mehrere Jahre unter Einbeziehung niedrigerer Energie- und Servicekosten durchrechnet, sagt der Hersteller. Und bei Verwendung von Eigenstrom wird nochmal ein anderer Schuh draus. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass man mit dem BEV zukunftssicher aufgestellt ist im Hinblick auf etwaige Einfahrtsregularien. Liefern oder nicht liefern, das ist dann hier die Frage. Die nochmal eine ganz andere Wirtschaftlichkeitsrechnung aufmacht.

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