Fahrbericht Nissan Townstar EV: Es hat sich ausgedieselt!

Der Elektropionier stellt mit dem Kangoo-Bruder im City-Van-Segment auf Renault-Nissan-Allianz-Plattform um - und will sich mit Fünf-Jahres-Garantie und mehr Ausstattung von den Pendants absetzen.

Ausgedieselt: Der Townstar kommt nur noch als EV - und als "Side-Kick" als Benziner. Er ergänzt das Line-up aus Leaf und Quasqai und fußt auf der Plattform des Crossovers. | Foto: J. Reichel
Ausgedieselt: Der Townstar kommt nur noch als EV - und als "Side-Kick" als Benziner. Er ergänzt das Line-up aus Leaf und Quasqai und fußt auf der Plattform des Crossovers. | Foto: J. Reichel
Redaktion (allg.)
(erschienen bei VISION mobility von Johannes Reichel)

Auf die Statistik kommt es an. Und danach hat der Nissan eNV200 seit seinem Erscheinen im Jahr 2017 einen satten Marktanteil von 33 Prozent in Westeuropa erobert. Anteile, von denen der hierzulande weniger prominente Hersteller sonst nur träumen kann. Ok, ein Drittel Marktanteil in der Klasse der elektrisch angetriebenen Kompaktvans, muss man einschränkend hinzufügen. Davon gab es zu dem Zeitpunkt nicht wirklich viele. Noch mehr Anteil dürfte der Kangoo Z.E. der Allianz-Schwester Renault für sich reklamieren, daneben noch ein paar wenige Peugeot Partner/Citroen Berlingo Electric und das war's dann aber auch. Das überschaubare Angebot an EVs im "Small Van Segment" hat sich bis heute nicht wirklich verändert - Renault-Nissan und Stellantis bestellen das Feld - obwohl diese Gattung als vornehmlich in der Stadt eingesetzte Fahrzeuge mit hohem Kurzstreckenanteil prädestiniert wären für die Elektrifizierung. Aber die Kunden in dem Segment sind eben auch besonders kostensensibel. Daher dieselt es leider noch gewaltig in der City.

Nissan will nach turbulenten Jahren wieder Grip finden

Kostensensibel sind auch die in den vergangenen Jahren in, wie man selbstkritisch konstatiert, rechte Turbulenzen respektive "Herausforderungen" geratenen Japaner. Weswegen man synergiebewusst die Zweiteilung aufgibt und den Plattformschwenk auf die Allianz-Linie vollzieht, statt das originäre Werk mit dem bei seinen Kunden sehr beliebten und geschätzten Raum- und Effizienzkünstlers eNV200 fortzusetzen. Das muss kein Schaden sein, wenn man wiederum den Kostenvorteil der geteilten Entwicklung an die Kunden weitergeben kann. Zwar äußert man sich noch nicht zum "Pricing", aber der elektrische Bruder des Kangoo (und des baugleichen Mercedes eCitan) dürfte eher günstiger sein als die Version mit Raute oder Stern, respektive eine bessere Ausstattung für das gleiche Geld bieten.

Japanische DNA: Der Kangoo mit dem Nippon-Faktor

Und dazu eine "japanische DNA", was man aber getrost als Marketinggeklingel abhaken kann: Ein eigenständiger Kühlergrill im Nissan-Look, ein eigenes Lenkrad, andere Stoffe, das war's dann auch mit der formalen Differenzierung. Ach so, ja, den "Cato-Sound" nicht zu vergessen, sprich das proprietäre Rück- und Vorfahrgeräusch, das der Townstar EV mit seinen Brüdern teilt. Wichtiger für die Kunden: Nissan bleibt der Linie mit der Fünf-Jahres-Garantie auf 160.000 Kilometer treu, die Batterie erhält wie bei Renault eine Garantie auf 160.000 Kilometer oder acht Jahre. Kosten- und zeitschonend auch das Serviceintervall: 40.000 Kilometer und alle zwei Jahre, die Werkstätten werden nicht allzu viel "Freude" am elektrischen Townstar haben ...

Jetzt auch bei IONITY laden - aber nur mit 80 kW

Flankiert wird das alles mit dem entsprechenden Angebot an Ladeinfrastruktur von der Wallbox bis zu Ladedienst, wobei auch Townstar-EV-Nutzer mit Mittelstreckenambitionen jetzt wie beim Leaf das IONITY-Schnellladenetz nutzen können. Ok, mehr als 80 kW schafft der CCS-Lader des Kleintransporters nicht und sein Terrain ist ohnehin mehr die Stadt. Für Gewerbetreibende genügt womöglich meist der 7,4-AC-Standardlader, gegebenfalls investiert man in 11 oder 22 kW AC, wenn mehrere Schichten anstehen oder auch mal öffentlich geladen werden muss.

Ein guter Stromer, aber kein Überflieger

Ebenso wichtig: Der Townstar EV bietet natürlich die gleichen Qualitäten wie die Pendants. Sprich: Guter Komfort, satte Straßenlage, knisterfreie Karosserie, praktisches Interieur, geräumiger Zwei-Paletten-Laderaum nebst Erweiterung per modularem Klappbeifahrersitz oder alternativ Doppelsitzbank mit hochklappbarer Sitzfläche. Und vor allem natürlich eine spritzige Beschleunigung aus dem Stand dank eines 90-kW-Synchronmotors, der mit 245 Nm die Vorderräder antreibt und im Ecomodus mit moderaterer Entfaltung langfristig die Reifen schont. Dazu eine nunmehr dreistufige Rekuperation, bei der allerdings selbst die oberste Stufe 3 weit entfernt ist vom sogenannten "e-Pedal", dem "echten" Einpedalfahren, das sonst Nissan-Stromer wie den Leaf oder den Vorgänger eNV200 auszeichnet.

Nackeliges Rangieren

Zudem muss der Fahrer vor Ampeln aufpassen, dass er die Bremse drückt, denn die Rekuperation lässt auf der "allerletzten Meile" etwas nach. Sobald man die Bremse löst, kriecht der 2,3-Tonner los, der Takeoff ist allerdings wie bei vielen E-Autos eher ruckartig, unharmonisch und nackelig. Das stört insbesonders beim zentimetergenauen Rangieren in Parklücken oder bei einem U-Turn am Berg, der präzise Dosierung des Vortriebs erforderte.

Inkonsequent, aber natürlich kosteneffizient ist die "Wiederverwertung" des Schaltknaufs aus den Verbrennermodelllen, von denen es bei Nissan nur noch einen Benziner, keinen Diesel wie bei Renault und Mercedes gibt. Ein Ganghebel am Lenkrad wäre platzsparend und würde den Durchstieg zur Beifahrerseite freiräumen. Wenn man schon am Meckern ist: Das aufgesetzte Infotainmentsystem bietet leider eine ziemlich matte Darstellung und könnte schärfer sein. Auf Gadgets wie die 360-Grad-Rückfahrkamera oder den Einparkautomaten werden geschulte Fahrer auch im Hinblick auf die Kosten verzichten.

Ein geschlossener Hybrid-Van, das wäre mal was gewesen

Die Japaner reklamieren an dieser Stelle im Übrigen, dass der City-Van auf der Nissan-Plattform CMF-C steht, auf der auch der Quasqai fußt. Einen ePower mit geschlossenem Hybrid-Antrieb hatte man wohl erwogen, aber aus Kostengründen verworfen. Das wäre mal ein interessantes Konzept als Diesel-Alternative in der Stadt gewesen, denn der ePower-Crossover bewegt sich bei niedrigem Tempo meist elektrisch fort. Das spart hier massiv Sprit und Emissionen und könnte auf Selbstzünder-Niveau kommen, während der reine Benziner im Kangoo nach ersten Erkenntnissen doch drei Liter mehr verbraucht als der Diesel. Für gewerbliche Anwendungen mit höheren Laufleistungen ist das also eher nichts. Doch das nur am Rande.

Verbrauch: Da muss noch weniger gehen!

Apropos Verbrauch: Bei unserer 70-Kilometer-Tour im eigentlich für Elektrofahrzeuge "idealen" Stadtverkehr von Paris mit viel Stop-and-Go und zahlreichen Langsamfahr- und Rekuperationspassagen kamen wir laut Bordcomputer auch nur knapp unter 19 kWh/100 km, wobei die Klimaanlage moderat mitlief. Dennoch: Hier war der Vorgänger deutlich sparsamer - und auch der "alte" Kangoo Z.E., der schon mal City-Verbräuche 13 kWh/100 km hinlegte. Mit den versprochenen 300 Kilometer Reichweite im WLTP-Zyklus dürfte es bei einem 45 kWh-Akku damit schwer werden. Und der WLTP-City-Zyklus ergibt üblicherweise noch ein Viertel mehr an Radius. Man wird sehen beim ersten echten Test.

Ab 2023 kein Invest mehr in Verbrennerentwicklung

In die Weiterentwicklung der Verbrenner will Nissan im Übrigen ab 2023 nicht mehr investieren, sondern peilt bis 2030 eine CO2-neutrale Neuwagenflotte an. Bei den Vans sollen daher im Parallelschwung mit Renault in den nächsten Jahren ein elektrischer 3-Tonner (mit dem Trafic-Nachfolger) sowie ein elektrischer 3,5-Tonner (mit dem Master-Nachfolger) folgen. Bis 2050 soll dann die gesamte Kette inklusive Produktion und Verwaltung klimaneutral wirtschaften. Vorbild dabei soll die Fabrik im britischen Sunderland sein, wo man in den nächsten Jahren einen "EV Hub" aufbaut, inklusive einer 9-Gigawatt-Akku-Fabrik mit dem Partner AESC. Große Hoffnungen in Sachen Akku setzt man auf die Feststoffspeichertechnologie, für die man 2024 in Japan eine Pilotfabrik errichtet und ab 2028 mit einem ersten Modell auf den Markt kommen will. Die Lithium-Ionen-Akkus sollen bis dahin im Übrigen kobaltfrei sein und die Kosten um satte 65 Prozent sinken.

Bis 2030 soll der EV die Hälfte aller Townstar stellen - mindestens

Damit soll es gelingen, dass der interne Split der elektrischen Modelle von aktuell vier Prozent auf 49 Prozent bis 2030 steigt. Und das sei eher eine "konservative" Prognose, meint ein Verantwortlicher. Vom Townstar EV folgt jedenfalls nach dem Launch des L1 im Sommer gleich im Herbst noch die Langversion sowie ab 2023 ein Combi. Auch ein Hochdach hat man noch nicht ganz aufgegeben. Mehr als die Wettbewerber setzen die Japaner auf den EV, "Electric first", das könnte man auch als "japanische DNA" bezeichnen.