Fahrbericht VW Amarok: Das Zugpferd
Auch die Pick-Ups wachsen weiter: Der VW Amarok, den VW jetzt bei Ford in Südafrika auf Basis des hauptsächlich in Australien entwickelten Ranger bauen lässt, streckt sich jetzt auf 5,35 Meter Länge (mit serienmäßiger abnehmbarer Anhängekupplung auf 5,58 Meter) und bietet 3,27 Meter Radstand. Da Letzterer um 17, die Länge aber nur um zehn Zentimeter zulegte, ergaben sich kürzere Überhänge und damit steilere Rampenwinkel.
Bis zu 3,5 Tonnen Anhängelast – einer der wichtigsten Pluspunkte des Amarok
Willkommen in der Offroad-Welt, wo so ganz andere Werte zählen als Ladezeiten und Akkugröße. Weshalb wir hier gleich mal mit den wichtigsten Werten loslegen: Als da wären: 3,5 Tonnen Anhängelast! DAS Kriterium für Galabauer, Bauunternehmen und Pferdeliebhaber, die an E-Autos und EU7-kastrierte Vans nicht mehr viel anhängen können. „Nicht mehr viel“ ist alles unter 2,8 Tonnen Zuglast. Schleppt der Amarok einfach weg. Dazu kommen jetzt 80 statt 50 cm Wattiefe, womit er im Noteinsatz auch mal eine tiefere Furt durchmessen kann. Interessant: Ford traut dem Ranger hier bis zu 850 mm zu. Der längere Radstand erhöht vorn den Rampenwinkel auf 30, hinten auf 26 Grad, dafür senkt er den Böschungswinkel auf 21 Grad ab. Offroad hilft aber auch die von 22 auf 23 cm gewachsene Bodenfreiheit.
Viel Nutzlast und bei Bedarf zwei Europaletten quer auf die Pritsche
Weitere wichtige Werte sind die bis zu 1.116 kg Nutzlast und die Pritschenbreite von 1.206 mm, damit eine Euro-Palette quer(!) zwischen die Radhäuser passt. Das ist Ford-VW-unique und dem EU-Markt geschuldet. Könnte man dann zwei Hintereinander? Dummerweise gerade nicht, denn die Doka. Ladefläche misst in der Tiefe bis zu 1.651 Millimeter. In einigen Märkten gäbe es auch eine Single-Cab, die dann ein 2,3-Meter-Ladebett böte…die Heckklappe lässt sich dank Drehstabfeder übrigens so leicht öffnen und schließen, als bestünde sie aus Kohlefaser, nur bei der nackten Basis mit schwarzen Stoßfängern ist richtig Hubarbeit angesagt – und Vorsicht, wenn man die Klappe nach unten rauschen lässt.
Bleiben wir gleich auf der Pritsche stehen: Die kann man optional mit einem Kunststofflayer ausschlagen lassen, Serie in Europa ist immer ein robuster Schutzlack, der sich über die Jahre natürlich auch abschleift. Weshalb wir zum schwarzen Plastik raten. Am Boden gibt es sechs Zurrösen, die mit bis zu 400 kg beaufschlagt werden können, oben eine Schiene mit einfach verstellbaren Anschlägen, die je 250 kg Zugkraft abkönnen. Und wenn wir jetzt weiter aufs Dach klettern würden, so böte das 350 kg Dachlast – genug, dass eine vierköpfige Familie in Afrika löwensicher dachzelten könnte.
Auch die Basis kommt schon mit LED-Licht
Jetzt wird es aber Zeit, zu starten und diesmal hat VW alle Versionen, von der nackten handgeschalteten Basis bis zu den Topversionen Aventura (eher für onroad) und Panamericana (eher offroad) dabei. Wir starten in der zweitniedrigsten Ausstattung „Style“, die eigentlich schon alles Wesentliche mitbringt und wühlen uns durchs Gelände. Dazu kann man mehrere Fahrprogramme wählen, darf aber auch noch klassisch mitdenken: Permanentallrad gibt es nur noch „sequentiell“, da sich der Antriebsstrang sonst in Kurven verspannen würde, weshalb der Amarok in der Stellung „4A“ automatisch zwischen 2H und 4H wechselt.
4H „manuell“ gibt es auch, man sollte aber wissen, wann man das nutzt. Ebenso 4L – die Kriechuntersetzung, um die Kraft an den Rädern massiv zu erhöhen. Mit der und der Hinterachssperre kriegen wir den Brocken auch durch schmierige und teils extrem steile An- und Abfahrten. Bei Letzteren hilft auch der Bergabfahrassistent: Einmal (am besten in der Untersetzung) kurz Minimal-Speed festlegen, bevor man sich in die Tiefe stürzt und der Amarok regelt sich das elektronisch zurecht, soweit er kann und die Reifen grippen.
Sollten sie das mal nicht mehr tun, gibt es noch zwei fette Abschleppösen vorn, die ohne sich in den Dreck zu legen erreichbar sind und das Gesamtgewicht des Autos im Matsch halten können – was etwas ganz anderes ist als eine lächerliche Abschleppöse…
Zehn Gänge sind eher zwei zu viel – denn jeder Zahnradsatz wiegt extra und erschwert der Elektronik die Fahrstufenwahl
Soweit die Hardcore-Offroad-Fakten. Kann er alles und fährt sich dabei deutlich straffer und exakter als der Vorgänger. Denn auch der neue Ford Ranger wurde nochmal robuster ausgelegt als der Vorgänger, was 1:1 für den VW zutrifft. Nachdem auch die Motor-Getriebe-Kombis vom Partner kommen, darf man dem Amarok eine ford-typisch knochentrockene Sechsgang-Handschaltung attestieren. Womit wir beim großen ABER des Amarok wären, denn: Eine Automatik ist hier natürlich attraktiver, gerade im Zugbetrieb, doch die hat im Falle des Amarok ZEHN Fahrstufen. Und das sind unseres Erachtens nach zwei zu viel.
Nicht ohne Grund hat niemand diese zehn-Fahrstufen der Ford-GM-Gemeinschaftsentwicklung oder die 9-G-Tronic von Mercedes-Benz aufgegriffen: Die großen Getriebehersteller Aisin oder ZF blieben bei acht Fahrstufen. Die auch dem Amarok genügen würden, denn vor allem mit dem eher durstigen V6 bleibt er auch unbeladen bei zartestem Gasfuß wie ein vorgespannter Pfeil eher immer in Fahrstufe acht oder neun, als gälte es, bei Bedarf doch plötzlich mit einem 3,5-Tonnen-Trailer und maximal aufballastiert durchbeschleunigen zu müssen. Wobei uns nebenher auffiel: Der bärenstarke 240-PS-V6 mit 600 Nm lädt den Pickup auch nicht dramatisch schneller durch als der Biturbo-Vierzylinder, der deutlich sparsamer ist.
Der Sechszylinder trommelt herrlich – und neigt zum saufen
Denn: Zum Start unserer Tour (mit dezentem Autobahnanteil) nullten wir den Verbrauch und der Amarok startet brav bei 99,9 l/100 km. Und während die meisten Modelle hier schon wenige hundert Meter nach dem Start dramatisch runterzählen, blieben die 99,9 erstmal ein paar Kilometer stehen! Erst auf der A 94 Richtung Passau fiel der Dieselkonsum auf 70,x Liter, doch es sollte bis kurz vor Erding dauern (knapp 30 km), bis wir bei 50,x ankamen…ups. Auf der dann folgenden ebenen Landstraßenetappe zurück zum Start bröckelte der Verbrauch dann langsam weiter, um am Ausgangspunkt angekommen 24,6 l/100 km zu vermelden. Unbeladen – flott, aber nicht dramatisch gefahren.
Gut, am Ende pendelte er meist irgendwo zwischen neun und zwölf Litern, aber Kickdown oder rasche Überholmanöver ließen den Verbrauch gleich wieder nach 20l pusminus x anschwellen. Wer also mit dem zugegeben banaleren Sound des Vierzylinders leben kann, ist damit besser bedient. Und weil wir hier schon dezent am Empfehlen sind, würden wir hier den 151-kW-Biturbo mit 500 Nm nehmen in der Ausstattung „Style“, die man um ein paar Extras anreichern kann und dann immer noch günstiger kommt als mit den etwas „blingblingartigen“ Topmodellen „Aventura“ respektive Panamericana. Der Style startet übrigens ab 51.233 Euro netto … noch zu teuer? Dann runter zum handgeschalteten Life ab 44.368 Euro…der dann anders als sein Name (fast) alles lifestylische abgelegt hat.
Innen lässt er sich notfalls mit Handschuhen bedienen
Innen freut man sich bei allen über eine einfache Bedienung (die im Detail minimal eingängiger ist als beim Ford) und eine erstaunlich exakte Lenkung: Tatsächlich fühlt sich der Neue deutlich straffer an als der Vorgänger, aber auch eine Idee mehr Truck-like. Dazu kommen jetzt 25 Fahrassistenten, die dezent und gekonnt abgestimmt sind sowie optional ein ordentliches Soundsystem mit bis zu acht Speakern plus Subwoofer und 640 Watt, was den Amarok wieder eine Idee näher an die Pkw heranrücken lässt.
Gleiches gilt für das Platzangebot im Fond, das jetzt für vier 1,9-Meter-Passagiere okay ist, wenngleich man sich immer und immer wieder wundert, wie wenig Platz so ein Pick-Up auf der Länge bei gut 3,2 Meter Radstand bietet. Ein Grund dafür ist auch die gigantische Crashbox vorn – die Antriebe ducken sich hinter dem kräftigen Kühler optisch gefühlt schon fast in eine Front-Mittelmotor-Position.
Im VW-Universum ein Kleinseller
Aber auf den Kernmärkten ist das egal – und die sieht auch VW in Australien und Neuseeland, im süd- und nordäquatorialen Afrika, auf der arabischen Halbinsel und vereinzelt auch in Mexico und Europa. Südamerika? Erhält weiter den VW-originären Vorgänger aus Argentinien, während man die USA und Kanada ausspart. „Man pinkelt seinem Partner nicht in den Vorgarten“ heißt es dazu dezent bei VWN – aber tatsächlich muss man sehen, dass „small“ Pick-Ups wie Amarok und der dort (wieder) verkaufte Ford Ranger, neben den „Midsizern“ Ford F-150, Ram 1500 und Chevy Silverado 1500 absatzzahlenmäßig nur „Statisten“ sind, denn: Während Ford über 700.000 F-150 jährlich baut und dieses Modell damit seit Jahren weltweiter Topseller ist (auf nur zwei großen Märkten), hat VW nach eigenen Angaben noch nie mehr als 91.739 Amarok pro Jahr produziert. Womit der Große trotz seines Wachstums ein eher Kleiner im VW-Absatzuniversum ist. Aber mit großen und spitzen Talenten, sobald man viel Gewicht abseits befestigter Pfade bewegen und vor allem ziehen muss!
Was bedeutet das?
Der xte vorausgesagte große Pick-Up-Hype ist längst wieder abgesagt! Mittlerweile bestellen das kleine Feld in Europa hauptsächlich Ford und VW. Dazu kommt noch der ewig lebende Toyota Hilux (demnächst als Mildhybrid-Diesel und mit Brennstoffzelle) sowie einige grau importierte Dodge Ram, der den europäischsten unter den US-Midsize-Pick-Ups gibt. Dazu einige Isuzu D-Max und Ssangyong Musso Grand sowie elektrisch der Maxus T90 EV. Und demnächst der Ineos „Quartermaster“. Viele Namen noch nie gehört? Eben – weshalb es kein großes Geheimnis ist, dass der VW Amarok in Zentraleuropa sich neben dem noch breiter aufgefächerten Genspender ein großes Stück des kleinen, aber schweren Pick-Up-Kuchens sichern wird. Und damit der nicht zu schwer im Magen liegt, raten wir zu leichten Motoren und ebensolcher Ausstattung.
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