Fahrbericht VW Caddy: (Fast) autonom im Kleintransporter

Mit neuem Euro-6-Motor, aber auch in der Klasse bisher ungekannter Sicherheit setzt der Caddy IV wieder den Maßstab. LOGISTRA hat ihn vorab gefahren im Rahmen der Jury "International Van of the Year".
Johannes Reichel

Alle reden vom autonomen Lkw, vom autonomen Kleintransporter spricht keiner. Aber so ist das eben in der „ökologischen Nische“ der leichten Nutzfahrzeuge, alle brauchen sie, aber kaum einer nimmt sie wirklich wahr. Auch nicht, wenn hier echte Innovationen stattfinden. Gut, richtig neu ist das Feature Abstandstempomat nicht, bei Pkw und Lastwagen ist es längst optionales und höchst hilfreiches Goodie an Bord.
VW Nutzfahrzeuge schöpft beim Golf-Verwandten Caddy natürlich ebenfalls aus dem Konzernbaukasten. Trotzdem ist es ein neues Gefühl, sich im Kleintransporter „fast autonom“ bewegen zu lassen. Ok, lenken muss man noch selbst, aber ansonsten erledigt der gefahrene 102-PS-Kleintransporter mit „Front Assist“ und „ACC“ in Tateinheit mit dem DSG-Doppelkupplungsgetriebe (bei 75 kW TDI Sechsgang, nur mit 110-kW-TDI-Topmotor 7-Gang) fast alles von selbst. Das funktioniert nicht nur auf der Autobahn, sondern auch auf der Landstraße ziemlich gut und nah an der Perfektion. Und sogar im Stadtverkehr kann man sich mit Einschränkungen vom Roboter geleiten lassen, wenn man will: Mit DSG regelt das ACC von 0-160 km/h, beim Schaltgetriebe greift die Regelung ab 30 km/h. Wer den Tempomat auf das gewünschte Tempo stellt, der wird fortan bewegt wie von Geisterhand.
Wobei, das vorweg, die Kombination 75-kW-TDI-Euro-6-Motor (siehe auch Vorab-Fahrbericht LOGISTRA 4/2015) und DSG sehr komfortabel und souverän ist, mehr Power braucht im Caddy kein Mensch. Das DSG stuft wie gewohnt nahtlos und ruckfrei. Gelassen und ohne hohe Drehzahlen bemühen zu müssen, nimmt man an Fahrt auf, das passiert ebenso zügig wie dezent. Der neue TDI-Motor, ebenfalls aus dem „Modularen Querbaukasten“ des Konzerns entnommen, geht ohnehin deutlich kultivierter zu Werke als der raubeinige Vorgänger, wenngleich weiterhin nicht so samtig wie ein Peugeot-Diesel. Und wer auf das nach wie vor mit 2000 Euro nicht billige DSG verzichtet, der kann sich damit trösten, dass er ob der Fülle des Drehmoments ohnehin nicht oft zum knackig geführten Schaltknauf greifen muss: Die 250 Nm liegen jetzt bereits bei 1300/min sehr früh an und stehen dann auf einem Plateau bis 2800/min zur Verfügung. Der Caddy tritt zudem deutlich besser dosierbar an. [pagebreak]
Aber klar, "halbautonomes Fahren", das geht mit DSG noch geschmeidiger. Damit zurück zu "Front Assist" und ACC: Den Radarsensor, der das System mit exakten Umgebungsinformationen füttert, haben die VW-Leute unsichtbar hinter dem Logo im Kühlergrill platziert, damit "auf halber Höhe und mit gutem Blickfeld, das bisschen Plastik irritiert die Radarstrahlen nicht" wie ein Entwicklungsingenieur erklärt. Das legt die Basis für feinfühlige Regelungsgüte, die natürlich durch zigtausendfache Erprobung in Passat, Golf & Co erreicht wurde.
Auf der Autobahn gewöhnt man sich schnell an den "autonomen Service". Der Radar orientiert sich strikt am vorausfahrenden Fahrzeug, klinkt sich in dessen Tempo ein und misst Entfernung und Relativgeschwindigkeit. Wie im Gänsemarsch - die Fachleute sprechen hier von "Platooning" - schnürt man entspannt dahin. Wer zügiger fahren oder überholen möchte, der tut dies, indem er selbst Gas gibt und das System "überstimmt". Es bleibt aber aktiv, anders als beim Tritt auf die Bremse, der ACC deaktiviert. Oder man wartet bei leerem Rückraum nach dem Spurwechsel die Gedenksekunde ab, die das ACC braucht, um die "freie Bahn" zu erkennen und dann gelassen und ohne Hektik zu beschleunigen.
Überhaupt agiert der Abstandstempomat sehr defensiv und im Stile eines zurückhaltenden Fahrers. Selten wird das Tempo rüde rausgenommen oder die Bremse betätigt, stattdessen aktiviert das System eher mal eine Rückschaltung - per DSG zackig möglich - und nutzt die Kraft der Motorbremse. Das bewährt sich übrigens auch in Gefällen auf der Landstraße, wo ACC nach der Rückschaltung cool den Gang hält, als habe es eben doch Augen. Rabiat diagonal durchwischende Verkehrsteilnehmer bringen die Robotik zwar in "Hab-Acht-Stellung", ACC erkennt aber offenbar die deutlich höhere Geschwindigkeit und unterlässt eine Bremsung. Die vollzieht der "Front Assist" dagegen beim adrenalinfördernden "Klassiker", den wir bei der ersten Proberunde ebenfalls erleben "dürfen": Stauende nach einer Kurve. Noch bevor der Fahrer - noch ohne das finale Zutrauen in die Robotik - in die Bremse tritt, erfolgt ein Anlegen der Bremsbeläge und Vorbefüllen der Hydraulik, sodass im Notfall die volle Bremskraft sofort zur Verfügung steht. [pagebreak]
In Kombination mit DSG verzögert ACC bis zum Stillstand ("follow to stop"), doch auch mit Handschalter agiert das System wie ein Notbremsassistent. Wobei der Gesetzgeber nicht die theoretisch mögliche Bremskraft zulässt, sondern auf 0,6 m/s beschränkt. Da zieht es den Fahrer aber schon mehr als ordentlich aus dem Sitz und wohl kaum ein nicht gezielt geschulter Chauffeur würde eine derart kräftige Bremsung in einer Notsituation hinbekommen. Apropos: Bestandteil des "Front Assist" ist auch die City-Notbremsfunktion, die unter 30 km/h automatisch eine Bremsung einleitet, sofern der Fahrer nicht auf ein Hindernis reagiert.
Defizite? Allenfalls beim Heranfahren und Durchrollen von Kreisverkehren oder beim Heranrollen an Ampeln würde man als (mehr als ein Auto) vorausschauender Fahrer weniger stark verzögern und mehr Schwung mitnehmen, um noch ein wenig mehr Sprit zu sparen. Das erfordert allerdings einen konzentrierten Fahrstil - und welcher Fahrer ist schon einen ganzen Arbeitstag lang voll konzentriert. Auch in Kurven kann das System natürlich nicht so gut blicken wie der Fahrer, wild beschleunigen würde das System deshalb aber nicht.
In der Stadt mit viel Betrieb sind die Verkehrssituationen allerdings dann oft so komplex, dass der ACC-Betrieb nicht wirklich Sinn macht. Für Stadtdurchfahrten kann man es aber durchaus als "Stop-and-Go"-Assistent benutzen: Dann fährt die Kombination ACC-DSG selbsttätig an und stoppt wieder ab, eine wirkliche Erleichterung. Zumal das serienmäßige Start-Stopp-System mit Rekuperation rasant und unauffällig mitspielt und den Komfort weiter erhöht, respektive den Verbrauch senkt. Bei einer 80 km-Fahrt aus der Stadt in bergiges Umland legte der Caddy mit 5,7 l/100 km schon mal einen vielversprechenden Verbrauch im Bordcomputer hin.
Ein Vorteil der Kombination mit DSG in dieser Hinsicht: Bei jeder sich bietenden Gelegenheit aktiviert das System den Freilauf und trotzt so den Fahrwiderständen ein paar „leichter absolvierte“ Meter quasi im „Segelbetrieb“ ab. Das geht beim Handschalter natürlich nicht so einfach ... Der elektronische Assistent ist unterm Strich also ein massiver Zugewinn, an Komfort, vor allem aber an Sicherheit und dringend eine Empfehlung wert. Zumindest der "Front Assist" sollte an Bord sein (245 Euro). Wer viel Langstrecke fährt, sollte sich auch die Komplettierung mit ACC gönnen - die Kosten sind mit ca. 650 Euro (ACC nur in Verbindung mit Multifunktionslederlenkrad) vertretbar im Verhältnis zum Nutzen. "ACC und Frontassist bilden eigentlich ein Gesamtsystem", gibt denn auch ein VW-Entwickler zu. [pagebreak]
Wenn solche Systeme von einem Massenhersteller wie VW in großem Stil auch in leichten Nutzfahrzeugen hoffähig gemacht werden, dürfte das die Zahl schwerer Unfälle nicht unbeträchtlich zu senken helfen. Das Potenzial ist groß, wie Forschung der Unfallversicherer schätzt: Mindestens zwölf Prozent aller Pkw- und Lkw-Unfälle ließen sich vermeiden, in 88 Prozent aller Auffahrunfälle, die durch zu dichtes Auffahren oder Unaufmerksamkeit verursacht werden, hätten ACC&Co einen positiven Einfluss auf den Verlauf, besagt eine weitere Studie. Und die Umwelt dankt es auch.
Apropos: Die wird es einem auch danken, wenn man sich gleich für die Abgasstufe Euro 6 entscheidet, in der der Caddy als quasi "Classico" mit 75-kW-Motor etwa 1.200 Euro netto mehr kostet als das weiterhin erhältliche Vorgänger-Modell in Euro 5b+. Dafür verbraucht der neue im Schnitt 0,5 l/100 km weniger (gerechnet ohne Adblue!) und bringt einige Features als Serienausstattung, neben dem besser fahrbaren Motor etwa die Multikollsionsbremse, einen Berganfahrassistenten und Start-Stopp-System. Auch ACC und „Front Assist“ bleiben dem Euro-6-Modell vorbehalten.
Wem das alles nicht wichtig ist, der kann natürlich jetzt noch bis zum gesetzlichen Termin für die leichten Nutzfahrzeuge im Herbst 2016 ein Schnäppchen machen beim Caddy: mit 15.700 Euro netto eröffnet der 1,6 TDI mit 75 PS und Euro 5 plus das Dieselprogramm, ohne Adblue-Tank, dafür mit 60-Liter-Diesel-Reservoir (bei Euro 6 nur 55 l plus 9 l Adblue). Dass der Caddy zum Vorgänger preiswerter geworden ist, gilt somit nur für den Benziner: Der 1,2 TSI mit 84 PS kostet tatsächlich weniger mit 14.785 Euro, bietet aber mehr Sauberkeit. Er erfüllt immer Euro 6, auch ohne all den SCR-Aufwand.
Für Wenigfahrer im Nahverkehr definitiv eine Überlegung wert, wenn der TGI Erdgas zu teuer sein sollte (19.310 Euro netto). Ansonsten blieb sich der Caddy treu: Ordentlicher Komfort (auch im Leerzustand), auch wenn die starre Hinterachse gelegentlich etwas hüftsteif und unelegant wirkt und die einzelradaufgehänge Konkurrenz von PSA, Fiat, allen voran Ford hier mehr Souveränität und Fahrdynamik bietet. Dazu kommt ein geringeres Geräuschniveau durch aerodynamischen Feinschliff (z.B. neue Spiegel), ein leiserer, sparsamerer Motor, ein besser nutzbares, tadellos ergonomisches Interieur, robuste neue Sitzbezüge. Selbst wenn immer noch keine Palette quer in den schmalen Laderaum passt und Vans wie der Ford Connect oder Fiat Doblo hier deutlich praktischer veranlagt sind, das Package für den Marktführer passt nach der gründlichen Modernisierung wieder bestens.