Forschungsprojekt SiLKe: Sicherheit in der Lebensmittellogistik braucht Kooperation statt Blockchain
Komplexe, intransparente Lieferketten mit zahlreichen Beteiligten erschweren die vorgeschriebene Rückverfolgbarkeit in der Lebensmittellogistik. Mangelnde Transparenz erhöht die Kosten bei den erforderlichen Kontrollen zur Lebensmittelsicherheit. Stockende digitale Transformation mit vielfach noch papierbasierten Prozessen und Dokumentationen steigert die Risiken durch Betrug bei Abrechnungen und Zertifikaten.
Der Einsatz moderner Technologien und neuer Instrumente kann das ändern. Sie verbessern den Informationsfluss und die Sicherheitsaspekte in der Supply Chain der Lebensmittellogistik, steigern die Effizienz und senken die Prozesskosten. Diese Schlüsse legen Ergebnisse einer ersten Auswertung des Forschungsprojektes „SiLKe – Sichere Lebensmittel-Kette durch Anwendung der Blockchain-Technologie“ nahe. Sieben Projektpartner aus Forschung und Wirtschaft überprüften darin von Juni 2019 bis August 2022 verschiedene Maßnahmen zur Steigerung von Transparenz und Sicherheit der Prozesse und Strukturen in der Lebensmittelproduktion und -logistik.
„Im Fokus standen dabei Instrumente und Maßnahmen zur Transparenz, hochauflösenden Rückverfolgbarkeit und Fälschungssicherheit“, sagt Dr. Denis Kurz, Projektbeauftragter der PSI Logistics GmbH, Berlin.
Das Unternehmen hat in dem Forschungsprojekt Optionen für eine IT-Plattform zur Unterstützung der Lebensmittellieferkette aufgelegt, geprüft und ausgewertet. Basis dafür ist die Kompetenz des Software-Anbieters für Steuerung und Planung von Transportnetzen, die nach unterschiedlichen Parametern optimiert werden können.
„Das Forschungsprojekt sollte Lösungen auf Basis der aktuellen Blockchain-Technologie entwickeln und auf ihre Praxistauglichkeit überprüfen, die eine für alle Akteure transparente Datenhaltung ermöglicht“, fasst Dr. Kurz zusammen.
Die dabei gewonnene Transparenz ermöglicht unter anderem, bei Verunreinigungen von Lebensmitteln die Ursachen schnellstmöglich zu identifizieren und verunreinigte Produkte, die bereits in Umlauf gekommen sind, kurzfristig aufzufinden.
Blockchains werden in aller Regel zum Aufbau einer verteilten Datenbank eingesetzt. Sie wurden entwickelt, um Vertrauens- und Datenmissbrauch, Veruntreuung und Betrug auf einer systemischen Ebene zu erschweren beziehungsweise vorzubeugen. Ein Design-Ziel bei Anwendungen der Blockchain-Technologie ist eine dezentralisierte Kontrolle von Informationen. Das heißt, sie werden innerhalb eines dezentralen Computer-Netzwerkes auf verschiedenen, miteinander verbundenen Computern gespeichert und können – anonymisiert – jedem öffentlich zugänglich gemacht werden.
Neue Datensätze werden über einen Algorithmus mit einer Prüfnummer versehen und in Form von sogenannten Transaktionen in die Blockchain integriert. Dabei sind die vorherigen Informationen nachträglich unveränderbar, bleiben erhalten und werden mit den neuen Daten verkettet. Kryptografische Konsensverfahren stellen sicher, dass die Blockchain zwischen verschiedenen Teilnehmern synchron gehalten werden und bieten dadurch Transparenz und Sicherheit.
Schnell wachsendes Datenvolumen
Bei etwaigen Betrugsversuchen werden Abweichungen in den Blockchain-Versionen schnell erkannt und können korrigiert werden. Allerdings: Je mehr Transaktionen innerhalb des Netzwerkes getätigt werden, desto mehr Blöcke müssen in die Blockchain integriert werden – und umso größer wird diese. Bei jedem neu erzeugten Datenblock, wird auf jedem Computer, auf dem die Blockchain gespeichert ist, eine Aktualisierung mit wachsendem Datenvolumen gespeichert.
„Das erwies sich im Forschungsprojekt als ein entscheidender Faktor für die Praxistauglichkeit der entwickelten Lösungen“, erklärt Dr. Kurz.
Neben dem Verbundkoordinator FIR an der RWTH Aachen und dem Forschungszentrum Informatik (FZI) waren an dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt SiLKe das Fraunhofer FIT und die Hochschule Niederrhein sowie, seitens der Wirtschaftsunternehmen, die Qinum GmbH, die fTrace GmbH und die PSI Logistics GmbH beteiligt.
„Darüber hinaus ermöglichte die Einbindung von 25 assoziierten Projektpartnern insbesondere aus Lebensmittelindustrie und -handel eine modellhafte Abbildung der Lösungsansätze durch zwei praxisbasierte Use-Cases für Lebensmittelketten in der Tiefkühl- und Süßwarenindustrie“, erläutert Dr. Kurz.
Für die Süßwaren repräsentierten Havi und GNT die Position der Food-Ingredient-Supplier, Zentis, Bahlsen und Coppenrath die weiterverarbeitende Lebensmittelindustrie mit B2C- oder B2B- und B2C-Vertrieb sowie Cames die Position des Groß- und Einzelhandels mit Funktionen der Lebensmittellogistik. Im Bereich der Tiefkühllogistik repräsentierte die Fischerei die Position der Food Ingredient Supplier, Conservas Hoya und die Followfood GmbH die weiterverarbeitende Lebensmittelindustrie mit B2B-Vertrieb und Lidl die Position des B2C-Vertriebs an Groß- und Einzelhandel.
„Die Erprobung und Validierung der iterativ ermittelten Lösungsansätze anhand der konkreten Anwendungen ermöglichten es, die erforderlichen Datenquellen auf Unternehmensebene zu identifizieren und etwaige Problemstellungen durch die Referenzarchitektur, die Blockchain-Plattform und Applikationen abzudecken“, urteilt Dr. Kurz.
Dabei zeigte das Forschungsprojekt die Notwendigkeit einer systemischen Weiterentwicklung auf. Um den Austausch sicherheitsrelevanter Informationen für lückenlose Rückverfolgung nach dem Lieferkettengesetz und schnelle, effektive Maßnahmen zum Schutz der Konsumenten in kürzester Zeit zu ermöglichen, wurde eine digitale Plattform entwickelt. Sie ermöglicht einfache und individuelle Dateneingaben, dezentrale, fälschungssichere und für alle Akteure transparente Datenhaltung sowie eine kontextsensitive und selektive Datenausgabe.
Auf der digitalen Plattform können alle Akteure der Lebensmittelkette mit Blockchain-Technologie ihre Informationen transparent und sicher teilen sowie Kunden Informationen über Herstellungs- und Lieferprozesse erhalten. Zudem könnten Behörden bei auftretenden Risiken schnell und zielgenau benachrichtigt werden.
Zweistufige Blockchain-Architektur für Lebensmittel
Zur Anwendung eines praxistauglichen Blockchain-Netzwerkes für die Lebensmittelbranche zeigte sich eine zweiteilige Architektur als förderlich. Die Unterscheidung erfolgte zwischen öffentlichen, rückverfolgungsrelevanten Daten (in Blockchain gespeichert) und sensiblen, zusätzlichen Daten (außerhalb der Blockchain gespeichert). Damit wären einerseits die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln im Krisenfall sowie andererseits eine ausreichende Zugriffskontrolle und Vertrauen der datenliefernden Unternehmen gewährleistet.
Zum Handling des enormen Datenvolumens, das die Abbildung der vielfältigen Informationen und ihrer Änderungen in der Supply Chain als Blockchain beeinträchtigt, generierte das Projektkonsortium einen neuen Lösungsansatz: Ein Blockchain-Netzwerk, das auf Smart Contracts basiert und die Notwendigkeiten und Geschäftslogiken der Lebensmittellogistik abdeckt.
Dabei werden für die Datenblöcke der Blockchain individuelle Prüfsummen erstellt und in die Blockchain integriert, während die großvolumigen Daten unter der jeweiligen Prüfsumme außerhalb der Blockchain abgelegt werden. Dafür hat PSI Logistics einen gesicherten Speicher für einen externen Datendienst der Off-Chain-Daten entwickelt und die Grundlagen des entsprechenden Datendienstes komplett neu programmiert.
„Diese Off-Chain-Lösung ist gemessen an den bewegten Datenvolumina und den aktuellen technologischen Gegebenheiten ein praxistauglicher Ansatz“, sagt Dr. Kurz. „Allerdings sind damit auch Vorbehalte der Anwender verbunden. Im Gegensatz zu den in einer Blockchain üblichen Grundlagen der dezentralen Datenbank beeinträchtigt die zentrale Datenhaltung den Vertrauensvorschuss, den Blockchain-Lösungen erhalten.“
Ohne eine Systematik oder Technologien, die die Datenmengen einer Supply Chain in der Lebensmittelbranche beherrschbar machen, ist die Blockchain für derartige Anwendungen gegenwärtig offenbar nur bedingt optimal nutzbar. Denkbar ist allerdings, dass bei der Weiterentwicklung von Speichermedien sowie Integration weiterentwickelter Künstlicher Intelligenz für Zugriff und Analyse der Datensätze in der Blockchain sich künftig weitere Potenzial für den Einsatz dieser Technologie im untersuchten Nutzerspektrum erschließen lassen.
Chancen für die Lebensmittellogistik
Gleichwohl hat das Forschungsprojekt SiLKe zahlreiche Grundlagen zur weiteren Entwicklung von Anwendungen erschlossen, mit denen die Lebensmittellogistiker Daten erfassen, in einer Blockchain abbilden und wieder visualisieren können.
„Mit dem Engagement in dem Forschungsprojekt SiLKe hat PSI Logistics die Ergebnisse positiv beeinflussen können“, urteilt Dr. Kurz. „Gleichzeitig fördert die Teilnahme an solchen Forschungsprojekten die Entwicklungsarbeit der PSI Logistics hinsichtlich praxisorientierter und praxistauglicher Lösungen.“
Die Entwicklung eines Demonstrators für die Erfassung mit Prüfsummen hat gezeigt, dass deren Einbindung in ein System mit einem externen Datendienst und Blockchain praktikabel ist sowie die erforderliche Sicherheit und Transparenz bietet. Dabei können Smart Contracts auf Basis fertiger Produkte die Geschäftslogiken abbilden. In Kombination etwa mit Zugangsberechtigungen lassen sie zudem keine Manipulationen zu.
Kooperatives Vertrauen der Akteure in der Supply Chain vorausgesetzt, kann dann auch eine zentrale Datenbank die Anforderung an Sicherheit, Transparenz und Effizienz sowie digitaler Transformation bei Datenhaltung und Informationsaustausch in der Lebensmittellogistik erfüllen.
Mit weiterführender Definition von Sensordaten inklusive Produktcodes lassen sich darüber hinaus Identifikation, Erfassung und Einbindung von Daten in die Blockchain beziehungsweise in eine externe Datenbank optimierten. Auf dieser Basis ließe sich eine öffentliche Tracking & Tracing-Lösung (T&T) aufbereiten, mit der Endkunden Informationen über Produkt und Vorprodukte abrufen können.
GS1 verfolgt bereits die Weiterentwicklung internationaler Standards für Chargen- oder Produktidentifikationscodes. Ein solches T&T-Netz dürfte für zahlreiche Industrieunternehmen interessant sein. Entsprechende Sensorik- und Datenerfassungsmodelle bieten überdies Potenziale für alle zentralen Datenbanken und für Cloud-Anwendungen.
Bei Datenfluss und Informationsaustausch sowie den Sicherheitsaspekten zur lückenlosen Rückverfolgung in der Supply Chain der Lebensmittellogistik, so ein erstes Fazit zum Forschungsprojekt, zeigt sich moderne Blockchain-Technologie als generelle singuläre Plattform für die Vorhaltung und Nutzung der enormen Datenmengen weniger geeignet. Doch in einem funktionierenden Blockchain-Netzwerk mit definierten Smart-Contracts ließen sich die Notwendigkeiten und Geschäftslogiken von Lebensmittelindustrie und -logistik fälschungssicher abdecken.
Auch im Zusammenspiel mit externen Datenbanken und Datendienst wären Blockchain-Lösungen für Anwendungen praktikabel, in denen sich etwa erfasste und kodierte Sensordaten hinterlegen und über die Blockchain abbilden und visualisieren lassen. Das könnte in der Blockchain beispielsweise Prüfscans zur Transparenz in der Kühlkette und Zugriffe via Cloud-Anwendungen betreffen.
Lösungsansätze jenseits der Blockchain weiterverfolgen
Bei gegenwärtigem Technologiestand gilt es, parallel Alternativlösungen ohne Blockchain zu entwickeln. In die Entwicklung entsprechender Produkte und Lösungen lassen sich Erkenntnisse, Komponenten und Bereiche des Forschungsprojektes SiLKe zielführend einbinden.
„Vor diesem Hintergrund hat das Forschungsprojekt viele praxistaugliche Ergebnisse geliefert“, resümiert Dr. Kurz. „Grundsätzlich bedingen die Forschungsergebnisse allerdings die Entwicklung eines einheitlichen Produktcodes für die gesamte Wertschöpfungskette sowie die Bereitschaft der Akteure, die relevanten Daten an die Plattform zu übergeben und stets alle Updates der Blockchain konsequent umzusetzen.“
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