Fraunhofer ITWM: Mehr Stabilität in den Lieferketten

Forscher des Instituts für Techno- und Wirtschaftsmathematik untersuchten, wie sich Risiken für Lieferketten minimieren lassen, mögliche Lieferengpässe frühzeitig erkannt und die Resilienz in Wertschöpfungsketten gesteigert werden kann – mittels mathematischer Modelle und IT-Tools.

Globale Lieferketten im Fluss zu halten und Risiken abzufedern ist das Ziel mehrerer Fraunhofer-Forschungsprojekte. (Symbolbild: Pixabay)
Globale Lieferketten im Fluss zu halten und Risiken abzufedern ist das Ziel mehrerer Fraunhofer-Forschungsprojekte. (Symbolbild: Pixabay)
Johannes Reichel
(erschienen bei Transport von Anna Barbara Brüggmann)

Versorgungsengpässen im internationalen Warenverkehr entgegenzuwirken und Lieferketten robust zu halten ist das Ziel eines Forschungsteams des Fraunhofer-Instituts für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM. Entwickelt werden sollen mathematische Methoden, mit deren Hilfe sich berechnen lässt, wie Risiken für Lieferketten minimiert werden können.

"Mathematisch gesprochen schaffen diese disruptiven Ereignisse ein mehrdimensionales Entscheidungsproblem", so Dr. Heiner Ackermann, stellvertretender Abteilungsleiter Optimierung – Operations Research.

Sein Team analysiert die Eigenschaften von Lieferketten mithilfe mathematischer Modelle, anhand derer Ausfallszenarien simuliert werden können. Diese machen sichtbar, wo ein erhöhter Handlungsbedarf besteht. Im folgenden Schritt sei es dann das Ziel, ganzheitlich zu optimieren um eine robustere Lieferkette zu erschaffen, die Risiken ohne großen Aufwand abfedern kann.

Ermittelt werden soll die bestmögliche Lösung in Hinblick auf die drei Faktoren Resilienz, Kosten und Risiko. Mittels bestimmter Algorithmen sei man in der Lage, die optimale Balance zu errechnen. Aufgezeigt werden sollen auch verschiedene Optionen für Rohstoffe, Lieferanten und Lagerhaltung - auch unter Einsatz alternativer Materialien. Als oberstes Gebot der Forschenden gilt dabei: möglichst wenig Annahmen.

"Damit haben wir bei Unternehmern, die sich zuvor auf Excel-Tabellen und ihr Bauchgefühl verlassen hatten, schon sehr fruchtbare Diskussionen angeregt", erklärt Ackermann und fügt hinzu: "Ob Lieferkette oder Versorgungsnetzwerke – Mathematik ist ein universelles und sehr wirksames Werkzeug."

Hilfe bei der Lieferkettenüberprüfung und -optimierung möchte auch das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML bieten. Ein sogenannter Order-To-Delivery-NETwork-Simulator macht dem IML zufolge Planungs- und Materialflussprozesse von der Bestellung bis zur Auslieferung durchgängig bewertbar, selbst hochkomplexe Supply Chains würden komplett und mehrstufig inklusive der Planungs- und Informationsflussprozesse abgebildet werden, so Marco Motta, Abteilungsleiter Supply Chain Engineering am Fraunhofer IML.

„Über verschiedene Parameter ist es möglich, unternehmensübergreifend und detailgetreu Zusammenarbeit im Rechner zu modellieren“, erläutert Motta. Das Tool soll Netzwerke in Bezug auf Kundenversprechen, wie Liefertreue und Qualität, aber auch hinsichtlich der Kosten und ökologischer Aspekte überprüfen – und in der Bewertung alternativer Szenarien auch im Hinblick auf Resilienz.

"Ich kann in der Simulation leicht mit Bedarfsspitzen, dem Einbruch eines Marktes oder mit Szenarien spielen, in denen die Produktion gestört ist", so Motta.

Auf diese Weise lasse sich prognostizieren, wie eine Lieferkette im Ausnahmezustand reagiert. Logistische Assistenzsysteme verbinden einen digitalen Zwilling der Supply Chain mit Simulation und zeigen auf diese Weise den Disponenten beispielsweise, welche Frachtschiffe welche Teile geladen haben, wo sich diese befinden und wann die Ladung am Bedarfsort verfügbar ist.

In globalen Netzwerken kann dem IML zufolge so die Versorgung der kommenden 20 bis 30 Wochen dargestellt werden – und potenzielle Engpässe könnten frühzeitig erkannt werden. Die Lösung sieht auch eine Rückverfolgung im Bedarfs- und Kapazitätsmanagement vor. So würde nicht nur die Nummer eines betroffenen Teils, sondern auch direkt die Auswirkungen auf die gesamte Produktion ersichtlich gemacht werden.

Nach Aussage von Saskia Sardesai, Senior Scientist am Fraunhofer IML, lässt sich anhand von Tabellenkalkulationstools, wie sie gerade kleinere und mittelständische Unternehmen einsetzen würden, keine Dynamik erkennen. Die Simulation von OTD-NET zeige hingegen dynamisch über einen langen Zeitraum, ob sich alle Teile zur richtigen Zeit am richtigen Ort befänden.

"Wenn alle Teile bis auf das meines transatlantischen Zulieferers zur Verfügung stehen und innerhalb Europas gibt es keine Lieferalternative, habe ich schnell einen Bruch von über einem Monat in meiner Kette", skizziert sie. Sardesai betreut das europäische Forschungsprojekt Co-Versatile, das dazu beitragen möchte, die Resilienz der europäischen Fertigungsindustrie für künftige Pandemien zu steigern.

Auf eine plötzlich steigende Nachfrage im Bereich von Medizinprodukten soll die Lieferkette zum Beispiel schnell reagieren können. Die Forscherinnen und Forscher des IML haben ein Simulationsmodell entwickelt, das Nachfragespitzen und -schwankungen sowie Lieferantenrisiken mitberücksichtige. Die Unternehmen erhielten umgehend einen Überblick, welche Effekte auf sie zukommen.

"Wir haben sehr einfache Modelle hinterlegt, um ein schnelles Feedback und die Anwendung für eine Vielzahl von Unternehmen zu ermöglichen", erläutert die Projektleiterin.

Hauptaugenmerk liege auf den Kapazitäten, Vorlaufzeiten, Transportfrequenzen und möglichen Liefereinschränkungen. Im Vergleich zu Excel-Lösungen sehe der Nutzer das Zusammenspiel der einzelnen Faktoren.