Interview Andreas Zygan, MB Vans: "Firmen haben wirtschaftliche Interessen an E-Mobilität"
Erste Tests zu VAN.EA laufen in der Simulation und schon ab 2026 will man erste Produkte der neuen Van-Familie ausrollen. Laut Zygan wurde noch nie so schnell eine komplett neue Produktfamilie entwickelt, die zudem weit in die Zukunft reicht. Denn VAN.EA wird jetzt die Weichen für die nächsten 15 Jahre stellen – eine große Sache für Mercedes-Benz Vans als Hersteller, der mit 400.000 bis 500.000 Einheiten pro Jahr eher zu den „Kleinen“ gehört. Und bei den Cityvans? „Werde man seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllen“ erklärte Zygan etwas schmallippig, zumal dieser Bereich stückzahlenseitig tatsächlich eine „Nische in der Nische“ sei und die Preise dort noch stärker unter Druck stünden wie in den größeren Klassen. Was ihm aber viel wichtiger ist: Künftig soll man die Luxus-Versionen von VAN.EA als echte Alternative zu Limousine oder SUV sehen … und vielleicht sollte man dabei gleich mal über den Gattungsbegriff Van nachdenken, der immer öfter durch „purpose-built“ ersetzt wird - also „kundenspezifisch aufgebaut“. Welch größeren Luxus könnte man sich als Kundin oder Kunde wünschen?
Herr Zygan, allein durch den optimierten Antriebsstrang und Detailverbesserungen am Package soll der neue elektrische Sprinter bis zu 18% effizienter geworden sein. Geht das bei den elektrischen Modellen mit Blick auf die neue Architektur VAN.EA in diesen Schritten weiter?
Zygan: Dazu müssen wir uns genau anschauen, wo die Verbesserungen herkommen. Wir vergleichen hier ja mit dem eSprinter der ersten Generation, der wie das neue Modell immer noch auf der Grundplattform des Verbrenners aufbaut. Und hier machen viele Details den Unterschied, darunter ein auf Effizienz optimierter EATS, eine geringere Verlustleistung aus der Batterie, ein optimiertes Ladesystem und ein optimiertes Kühlsystem. Was die Effizienzsteigerung aus dem gesamten Antriebsstrang selbst angeht, ist da übrigens nicht mehr viel zu erwarten - wir liegen in der Spitze mittlerweile bei über 95% Wirkungsgrad, deshalb ist der als Beitragsbringer weniger relevant als bei den ersten Generationen. Umso wichtiger ist aber die Integration des Antriebstranges ins Fahrzeug und das „Drumherum“. Das wird bei der neuen purpose-built Architektur den großen Unterschied machen und da sind Aerodynamik und Leichtbau ganz entscheidende Faktoren. Als weiteren Punkt sehe ich perspektivisch die Energieverbräuche von Bordnetz und insbesondere der Klimatisierung, die wir noch massiv optimieren können. Dort schlummern noch gewaltige Potenziale.
Gerade im US-Markt sieht man im Verhältnis extrem viele Sprinter als 4x4-Offroad mit Stollenreifen und Zusatztanks für Diesel. Auch im Verteilerverkehr hat man dort viel weitere Wege als in Europa. Haben die Amerikaner überhaupt Interesse am elektrischen Sprinter?
Zygan (lächelt): Haben sie! Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, die Markteinführung des neuen eSprinter in den USA zu starten, Europa folgt ganz kurz danach. In den USA hatten wir bisher keinen eSprinter angeboten. Sie dürfen nicht vergessen, dass hier in USA die Strompreise deutlich günstiger sind als in Europa und die Spritpreise pro Gallone längst nicht mehr so preiswert sind wie einst. Die Nachfrage in den USA ist also sehr stark von wirtschaftlichen Faktoren getrieben! Und viele Firmen haben ein interessantes Einsatzspektrum, das die Elektromobilität fördert und wo es sich ganz konkret lohnt, umzusteigen. Damit haben wir vor allem den Verteilerverkehr im Blick - wenn zum Beispiel Lebensmittel an Tankstellen und kleine Stores ausgeliefert werden. Und die KEP-Dienste wissen mittlerweile auf die Meile genau, wie die einzelnen Touren ausgelegt sein müssen. Da kann die E-Mobilität wirtschaftlich gesehen ganz positive Effekte auf die TCO haben und ist für die Unternehmen wirtschaftlich günstiger als ein Verbrenner.
Beim neuen eSprinter kommunizieren Sie erstmals eine Segmentbauweise: Leistungselektronik vorn, Akku mittig, Antrieb hinten. Grundsätzlich eröffnet die E-Mobilität hier ja ganz neue Möglichkeiten – die man bei VAN.EA ja auch nutzen könnte?
Zygan (lächelt wieder verschmitzt): Beim VAN.EA haben wir uns bewusst entschieden, keine flexible Antriebsplattform zu entwickeln, sondern ein 100% purpose-built BEV zu bauen und Alles von Anfang an gezielt auf die Anforderungen eines rein elektrischen Autos auszurichten. Dazu gehört die Integration der Leistungselektronik, der Batterie und des Antriebs – wir bauen quasi den Rohbau um einen kompakten Triebstrang herum. Das führt zu einer Hochintegration der Komponenten, die viel kompakter ausfallen. Damit können wir auch die Sicherheit auf ein noch höheres Niveau heben, was auch eine hohe Flexibilität beim Materialmix des Rohbaus benötigt.
Gutes Stichwort. Auf der CES kam das Thema „Purpose-built-vehicle“ auf. Doch gerade im Van-Segment gibt es extrem viele „purposes“, zumal man bei Mercedes-Benz auch noch die Brücke zu den Luxus-Pkw schlagen kann. Können Sie diese Änderungen beim Materialmix und im Rohbau in dem Zusammenhang noch genauer spezifizieren?
Zygan: Um für die E-Mobilität alle Vorteile, insbesondere bei der Personenbeförderung mit sechs, sieben, acht oder mehr Fahrgästen zu nutzen, müssen Sie einen anderen Materialmix einsetzen. Das geht in Richtung punktueller Leichtbau, kombiniert mit hochfesten Stählen, um die Crashanforderungen zukunftsfähig zu gestalten. Außerdem setzen wir für die Luxusplattform noch extremer auf Leichtbau, da hier viele Sonderausstattungen zusätzliches Gewicht bringen. Im gewerblichen Bereich zählt eher Robustheit im Rohbau. Die Kunst besteht dann darin, den Materialmix so zu gestalten, dass man all das auf einer Architektur umsetzen kann…
Das klingt nicht ganz einfach. Mit der T- und V-Klasse versuchte man ja bereits, die von den Lieferwagen abgeleiteten Modelle als Premiumfahrzeuge neben den Pkw zu etablieren. Andererseits hat man auch Großraumvans mit bis zu 5,5 Tonnen Gesamtgewicht im Programm. Kann man diese verschiedensten Anforderungen mit VAN.EA künftig besser zusammenbringen?
Zygan: Genau das ist der Fokus! Denn gegenüber den reinen Pkw müssen wir hier insbesondere im Transporterbereich ein Vielfaches an Bandbreite abdecken. Umso wichtiger ist es deshalb, sich sehr stark auf die flexible Architektur zu fokussieren und sie jeweils gemäß ihrer Nutzung mit sehr hochwertigen Komponenten und Systemen zu versehen. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass man mit einem Einheitsrohbau alles abdecken kann, da sich die Fahrzeuge grundsätzlich stark unterscheiden. Trotzdem muss man das Potenzial für eine Basisplattform heben und das ist da! Wir können unser Programm, das heute von knapp 2,8 bis 5,5 Tonnen Gesamtgewicht reicht, mit VAN.EA abbilden.
Aktuell sind Akkus, Antriebe und Leistungselektronik Zuliefererteile. Wie wird das bei VAN.EA aussehen? Besteht da nicht die Gefahr, dass Mercedes-Benz Vans zum bloßen Karosseriebauer herabgestuft wird?
Zygan: Ich glaube, dass der Fokus des Automobilbaus für die Kundinnen und Kunden mittlerweile ein anderer ist. Komponenten gibt es viele sehr gute, die interessieren im Einzelnen aber nicht mehr. Viel wichtiger ist die Frage: Was macht die DNA eines Mercedes-Benz Vans aus? Es ist die Perfektion in der Gesamtfahrzeugintegration, um für die Kundinnen und Kunden ein Fahrzeug aus einem Guss zu machen. Die Leistung besteht heute darin, die vielen unterschiedlichen Komponenten perfekt zu vernetzen, auch in Connectivity und Software. Die daraus entstehenden Fahrleistungen und deren Einbindung ins Datennetzwerk der Kunden ist heute das, was vom Kunden unmittelbar wahrgenommen wird. Deshalb sind wir absolut zuversichtlich, dass wir nicht nur als Karosseriebauer gesehen werden.
Trotzdem ändert sich in der Fertigung damit Einiges. Wenn man so tief in die Produktionsstruktur eingreift, braucht man dann nicht auch komplett neue Werke?
Zygan: Korrekt – wie wir bereits angekündigt haben, wird es mit dem Werk im polnischen Jawor erstmals einen Standort ausschließlich für die Produktion großer vollelektrischer Transporter geben.
Was passiert mit den Sprinter-Standorten Düsseldorf und Ludwigsfelde und mit dem spanischen Standort Vitoria, wo Vito und V-Klasse vom Band laufen?
Zygan: In Verbindung mit der Elektromobilität werden auch die bestehenden Werke ausgelastet sein. Die neuen Produkte sind keine direkten Nachfolger der bestehenden Baureihen, die, solange Bedarf besteht, weiter parallel angeboten werden. In Düsseldorf werden neben dem Sprinter und dem eSprinter künftig die auf VAN.EA basierenden Chassis-Varianten des großen Premiumtransporters gebaut. Im anderen deutschen Werk Ludwigsfelde werden weiterhin Sprinter und eSprinter produziert, der Standort wird zusätzlich zum Kompetenzcenter für individualisierte Elektro-Vans wie beispielsweise Camper ausgebaut. Die mittelgroßen VAN.EA Fahrzeuge werden im spanischen Mercedes-Benz Werk Vitoria vom Band laufen. Weitere Standorte werden folgen.
Gerade in der Logistik und im Handwerk gibt es unendlich viele Sonderanfragen und -konfigurationen. Die müsste man mit VAN.EA ja alle erfüllen können – oder hilft es der Effizienz hier auch manche ganz seltenen „Purposes“ aus dem Programm zu nehmen? Immerhin soll die Variantenvielfalt ja um mehr als 50% schrumpfen.
Zygan: Ich glaube, dass wir künftige Anforderungen heute noch gar nicht alle erfassen können. VAN.EA sehen wir immer auch als Co-Kreation mit den Kundinnen und Kunden. Denn auch die möglichen Geschäftsmodelle der Kunden entwickeln sich weiter. Die Fahrzeuge müssen ja in deren System passen und nicht umgekehrt. Und ich bin mir sicher, dass sich hier dank der hohen Flexibilität von VAN.EA noch viele neue spezifische Anwendungsfälle erschließen lassen.
Auch die Software entwickelt sich ständig weiter. Wenn ich jetzt sämtliche Telematik- und Fahrassistenzdaten in MB.OS einbinde, könnte am Ende ein extrem effizienter autonom fahrender Shuttle stehen?
Zygan: Es wäre ein großer Fehler, wenn man das Thema nicht mitberücksichtigen würde. Und dass das Ganze viel schneller realisierbar wäre, zeigt ein Blick nach China. Dort sieht man, wie weit die Technik heute schon ist, deshalb steht da ein ganz klares Ja.
Hard- und softwareseitig könnten Sie die Nachfrage der Kundinnen und Kunden mit den Ambitionen der Politik, bis 2035 CO2-neutrale Vans CO2-neutral zu produzieren - die auch noch autonom fahren können - erfüllen. Aber wenn Strom so teuer ist, wie in Deutschland heute und manche Staaten auf der 3,5-Tonnen-Gewichtsgrenze beim Führerschein- und oder Zulassungsrecht beharren, dürfte das schwierig werden, in der ohnehin margenschwachen Logistik gute Gewinne zu erzielen. Wie sehen Sie das?
Zygan: Wir sind nach wie vor fest überzeugt, dass Elektromobilität in der Logistik mit Blick auf TCO einen Mehrwert für die Kundinnen und Kunden bringt. Und wir unterstützen diese Umstellung, indem wir die richtigen Produkte anbieten. Seitens der Politik sollten allerdings vergleichbare Rahmenbedingungen wie bei den Verbrennern gefördert werden. Das gilt für die Gewichtsregularien, Führerscheinregelungen und Stromkosten, um nur ein paar Punkte zu nennen. Sonst wird Elektromobilität und das höhere Ziel CO2-Neutralität für unsere Kunden zu einer zusätzlichen Belastung. Und es ist wichtig, dieses Thema weiter mit Nachdruck zu adressieren, denn 2035 liegt nur noch eine Fahrzeuggeneration entfernt.
Das Interview führte Gregor Soller
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