Kommentar: Ohne Diesel stehen die Städte still

Diesel-Fahrzeuge bis Euro 5 sollen draußen bleiben: Umweltbundesamt fordert Neuorientierung im Stadtverkehr. Doch wie sich dann die Versorgung der Cities sicherstellen lässt, ist fraglich. Gewerbliche Verkehre sollten Priorität haben.
Klare Rollenverteilung: Vor allem Diesel-Pkw tragen zur hohen Stickoxid-Belastung in den Städten bei. | Grafik: UBA/Quelle: Tremod
Klare Rollenverteilung: Vor allem Diesel-Pkw tragen zur hohen Stickoxid-Belastung in den Städten bei. | Grafik: UBA/Quelle: Tremod
Johannes Reichel

Das Umweltbundesamt hat eine grundätzliche Neuorientierung in der Verkehrspolitik, insbesondere in den Städten, gefordert. In Anbetracht der nach wie vor viel zu hohen Stickoxidbelastung empfiehlt die oberste Bundesbehörde für Umweltfragen eine radikale Reduzierung von Diesel-Fahrzeugen im Stadtverkehr. Das müsse sich bis hin zu Euro-5-Fahrzeugen erstrecken, formulierte Behördenchefin Maria Krautzberger bei der Vorstellung des UBA-Jahresberichts. Sonst würde sich nach neuen Modellrechnungen die Luftqualität bis 2030 nicht wesentlich verbessern. Krautzberger hielt auch einen Abbau des Dieselprivilegs bei der Besteuerung für dringend geboten. Sieben Milliarden Euro an Steuereinnahmen entgingen dem Staat auf diese Weise, rechnet das UBA vor.

Doch die resolute Behördenchefin deutete auch an, wo sie den Schwerpunkt für die empfohlenen Maßnahmen sieht: Im Privatbereich. Mehr zu Fuß gehen, Fahrrad fahren, Elektromobilität für Fahrräder und Autos fördern, das sind ihre Empfehlungen. Zu recht: Denn die Privat-Diesel-Pkw machen immerhin zwei Drittel des Stickoxid-Ausstoßes in der Stadt aus, Lkw tragen gerade mal 22 Prozent bei. Der Effekt wäre also ein deutlich größerer. Konsequenterweise bringt Krautzberger auch ins Spiel, gewerbliche Fahrzeuge vorerst zu verschonen. „Dabei wäre auch zu prüfen, ob zunächst nur die privaten PKW erfasst und die Logistikbranche ausgespart werden sollte", schlug sie vor.

Und zielt damit in die richtige Richtung: Denn würden die Städte zur Luftreinhaltung auch Lkw der Abgasnorm Euro 5 aussperren, wäre zum derzeitigen Stand eine Versorgung der Kommunen schlicht unmöglich, denn sie erfolgt zu fast 100 Prozent mit Diesel-Fahrzeugen, ob bei Verteiler-Lkw oder bei der wachsenden Flotte an Paketfahrzeugen. Alternative Antriebe wie längst praxistaugliche Erdgas-Transporter oder Lkw sind den Unternehmen (oder deren Kunden respektive uns allen) noch zu teuer respektive der derzeitige Betriebskostenvorteil zu gering. Elektro-Vans oder Trucks sind ein ganz zartes Pflänzchen, das oft bei verborgenen Kleinserienherstellern blüht. Elektrifizierte Lastenräder sind ein vielversprechender Ansatz, taugen aber eher für die letzte Meile als für die große Masse. [pagebreak]

Anders als bei den Pkw haben die Lkw-Hersteller ihre Hausaufgaben im Hinblick auf die tatsächliche Einhaltung von Abgasnormen längst gemacht. SCR-Technik ist hier seit Jahren bewährt - und durch bordeigene Technik streng überwacht. Die Luft, die aus den Auspuffrohren der lange als "Stinker" verunglimpften Lastwagen kommt, ist ab Euro 5 aufwärts wirklich so arm an Emissionen wie versprochen und vorgeschrieben. Überschreitet ein Truck die Werte oder funktioniert die Harnstoffeinspritzung nicht hinreichend, lässt sich das Fahrzeug erst überhaupt nicht starten. Das ist überhaupt der erste Schritt, den man vor dem zweiten gehen sollte:Solange Diesel-Pkw in der Realität ein zigfaches an Stickoxiden ausstoßen als im Labor versprochen, solange kann es mit der Luftreinhaltung ja nicht klappen. Wenn man über weitere Einfahrbeschränkungen nachdenkt, sollten im ersten Schritt die gesetzlichen Abgasnormen erfüllt werden. Hier hat auch die Politik im Hinblick auf Hersteller, Zulassungsbehörden und Prüforganisationen die Zügel viel zu lange viel zu locker gelassen, wie sich im Zuge des VW-Abgasskandals zeigt.

Und zugleich gilt es, im ständig wachsenden Stadtverkehr "aufzuräumen" und strikt zu priorisieren - schon ein Gebot des sich rasant vollziehenden Trends der Urbanisierung: Wer muss wirklich mit dem Fahrzeug in die Stadt und für wen gibt es Alternativen wie Busse, Bahn oder Fahrrad?Im Zweifel sollte der Grundsatz gelten: "Vorfahrt für gewerbliche Verkehre". Denn die sind im letztlich im Auftrag der Gesellschaft unterwegs. Wie sich dieser Auftrag nachhaltiger und noch emissionsärmer vollziehen lässt, darüber machen sich viele Unternehmen in der Branche längst Gedanken, die freilich oft noch zu zögerlich in Handeln übersetzt werden. Eine klare politische Linie könnte hier aber sicher beschleunigend wirken. Möglicherweise sind hier die Innovationen der boomenden Haustürlieferdienste sogar Teil der Lösung, weil sie Sendungen bündeln und individuelle Wege dadurch reduzieren. Feststeht: Ohne einen ganzheitlichen Ansatz werden die Städte der Probleme nicht Herr. Wo bleibt eigentlich der städtische Verkehrsminister, der das große Ganze im Blick hat? Statt "Klein Klein" braucht es den "großen Wurf". Wie das geht, machen Städte wie Kopenhagen schon länger oder Göteborg in jüngster Zeit entschlossen vor, unter Einbeziehung aller Beteiligten.