Kommentar: Umweltzonen - Lösungen sind längst vorhanden

Die Bundespolitik darf die Verantwortung nicht auf die Kommunen und den Schaden auf Fahrzeughalter abschieben. Es braucht endlich umfassende Konzepte für den urbanen Verkehr von morgen - und zwar heute. Und: Eine City-Maut gehört mit in die Debatte, sie wäre weniger diskriminierend als Fahrverbote.
Tunnelblick: Wer muss wirklich rein in die Stadt - und sollte er nicht dafür zahlen? Eine City-Maut nach dem Verursacherprinzip wäre besser als pauschale Fahrverbote. Im Bild: Mittlerer Ring in München. | Foto: J. Reichel
Tunnelblick: Wer muss wirklich rein in die Stadt - und sollte er nicht dafür zahlen? Eine City-Maut nach dem Verursacherprinzip wäre besser als pauschale Fahrverbote. Im Bild: Mittlerer Ring in München. | Foto: J. Reichel
Johannes Reichel

Soweit hätte es nie kommen dürfen. Und eigentlich auch nie kommen müssen. Emissionsarme Alternativen zum Diesel sind längst vorhanden gewesen, weit bevor der Hype um die noch immer viel zu teure Zukunftstechnologie Elektroantrieb entstand. Schon längst könnten große Bus- und Taxi, sowie Logistik- und Gewerbeflotten auf sauberen und vor allem verfügbaren Antrieben wie Erdgas laufen - und die Städte dadurch massiv entlasten. Schon lange könnten aber auch die Diesel realiter viel sauberer sein, als die Hersteller uns weis machen. Dass es den sauberen Selbstzünder wirklich gibt, beweisen doch die vielen schweren Nutzfahrzeuge, bei denen der Gesetzgeber nach ersten Tricksereien viel härter und schärfer durchgegriffen hat als bei den Regulierungen für die - teils ja sogar identischen - Pkw-Abteilungen der Konzerne. Die sind löchrig wie ein Schweizer Käse und haben erst ermöglicht, dass sich jetzt alle Beteiligten in diesem schier unlösbaren urbanen Kuddelmuddel wiederfinden, aus dem es kaum ein Entrinnen zu geben scheint.

Dilemma:Aufwändige Nachrüstungen erhöhen den Verbrauch

Nachrüstungen mit SCR-Kats? Der ADAC hat zwar deren Wirksamkeit im Hinblick auf die schädlichen Stickoxide nachgewiesen, aber zugleich einen Mehrverbrauch nach der Umrüstung von ein bis sechs Prozent konstatiert. Mehr Benziner? Da wirbelt man bald wieder das beigelegt geglaubte Feinstaubproblem auf, das viele der turbogeladenen Downsizing-Aggregate haben. Und hat noch ein viel größeres Verbrauchs-Problem. Das ist wiederum mit Blick auf die CO2-Emissionen und die Klimaschutzziele nicht zu vernachlässigen. Klimaschutz konfligiert hier mit Gesundheitsschutz, saubere Luft hier unten oder da oben, was für eine Farce. Ähnliche negative Effekte für den Verbrauch gab es ja übrigens damals bei der Nachrüstorgie mit den Rußpartikelfiltern, noch so ein politisches Stückwerk. Man muss wohl feststellen, wenn ein Fahrzeug mal in der Welt ist, lässt es sich nur schwer nachträglich modifizieren. Abgesehen davon, dass etwaige Vorschläge, eine Neuauflage der unsäglichen "Abwrackprämie" einzuführen, ressourcenmäßig eine einzige Verschwendung wäre. Nachhaltig ist eben auch, ein mit hohem Energieaufwand produziertes Fahrzeug so lange wie möglich zu nutzen. Es sollte nur halt von Anfang an so sauber sein, wie es der Gesetzgeber vorschreibt und die Umwelt erfordert und der Stand der Technik es erlaubt. Das war eben nicht der Fall.

Wer schützt eigentlich die Interessen des mittelständischen Gewerbes?

Statt sukzessive und planvoll an den verschiedenen Stellschrauben der Verkehrspolitik zu drehen - Autos so sauber wie versprochen, öffentlichen Nahverkehr ausbauen, Radwege schaffen, Elektromobilität fördern, Parkraum bewirtschaften, die Umweltzonen mit einer blauen Plakette erweitern, eventuell eine emissionsbezogene City-Maut aufsetzen- hat die Politik, allen voran der Blockade-Minister Alexander Dobrindt es gemacht wie der Vogel Strauß:den Kopf in den Sand gesteckt und den Einflüsterungen der Industrie vertraut. Nur, wo bleiben eigentlich die Interessen des mittelständischen Gewerbes, von Transporteuren und Logistikern, deren Geschäft jetzt akut bedroht ist? Der Vorgang ist eine krachende Niederlage für die Logik im Allgemeinen und für planende Verkehrpolitik im Speziellen. Erst lässt man es soweit kommen, dass vielleicht mancherorts nur noch Fahrverbote helfen, und jetzt stellen sich die Politiker wie trotzige Schuljungen hin und sagen:Fahrverbote wird es mit uns nicht geben. Und eine bundesweit einheitliche Plakette wie beim Feinstaub schon gleich gar nicht. Wie schizophren ist das denn? Den Dingen jahrelang ihren Lauf lassen und nichts Substanzielles zur Entschärfung des Problems beitragen, und dann nicht mal an der Lösung mitarbeiten.

Bundesweite Regelungen statt Kleinstaaterei

Nun hat man den Wagen vor die Wand gefahren und die Leipziger Richter haben genau das vor Augen geführt. Und sogar noch versucht, der Politik die Arbeit abzunehmen, einen Weg aus dem Dilemma aufzuzeigen. Sofortmaßnahmen nur für Euro-4-Diesel, Euro-5-Bann frühestens ab September 2019, idealerweise kein Flickenteppich, sondern wenigstens bundesländerweise gefasste Regelungen. Sonst landen wir bald wieder in der Welt der deutschen Kleinstaaterei des Deutschen Bundes, jede Stadt ihre Vignette. Es droht Flickschusterei, wenn nicht das Bundesverkehrsministerium sich doch noch bewegt und den Weg für eine Blaue Plakette freimacht. Oder vielleicht noch besser:Für eine Stadtfahrmaut oder eine "Toxicity-Toll", wie sie London jetzt aufgesetzt und mit der etwa Mailand signifikante Verbesserungen erzielt hat. Denn dann wird nicht pauschal ausgesperrt oder Dieselfahrzeuge praktisch über Nacht entwertet, sondern nach dem Verursacherprinzip "bemautet". Das wäre deutlich gerechter und weniger diskriminierend. Freilich müsste man auch hier differenzieren:Wer muss wirklich rein in die Stadt, Logistiker und Gewerbe, da muss es entsprechende Sonderregelungen mit Augenmaß geben.

Ohne Vision:Die politische Planlosigkeit rächt sich

Unter dem Strich zeigt sich:Die Verkehrspolitik in Deutschland war in den letzten Jahren völlig plan-, konzept- und visionslos - und wird jetzt von der Realität in Gestalt der Mega-Trends Urbanisierung und Klimawandel völlig überrannt, in fataler Koinzidenz mit hausgemachten Versäumnissen und Fehlern. Ein Polit-GAU. Statt zu steuern, ließ man sich von der Industrie steuern, wie sich jetzt zeigt, auch nicht zu deren eigenen Vorteil. Statt zu agieren, wurde nur auf jeweilige Notsituationen reagiert. Deutschland, der Erfinder des Automobils, droht in Sachen Neuerfindung der Mobilität abgehängt zu werden. Längst spielt bei alternativen Antrieben in China die Musik, US-Konzerne drängen mit ihrer Daten- und Konnektivitätskompetenz ins angestammte Auto-Revier. Man tat sich also keinen Gefallen mit der Protektionspolitik, die allenfalls kurzfristig die Arbeitsplätze sichert, sie aber langfristig umso stärker gefährdet. Es kann nicht angehen, dass man es den Städten überlässt, nun in einer Art kommunalen "Wettbewerb" Lösungen für die Zähmung des überbordenden Verkehrs auszupuzzeln, die alle größeren Ballungsräume und durchaus auch mittelgroße Städte angehen. Das ist ganz klar der Job der Bundesregierung. Die Lösungen liegen auf der Hand, der Instrumentenkasten ist reich bestückt:Man muss es halt einfach nur machen, ideologiefrei, pragmatisch und mit einer konstruktiven Vision, wo es hingehen soll. Den weltanschaulichen Staub der 80er-Jahre, den sollte man dabei ganz schnell abklopfen. Wir schreiben das Jahr 2018!