Kommentar zum Dieselgipfel: Und weiter droht das Fahrverbot

Die Bundesregierung schafft es beim neuerlichen Dieselgipfel nicht, Planungssicherheit zu schaffen und das Problem der Luftqualität zu lösen. Heraus kam nur Stückwerk, es fehlt die Vision für den urbanen Verkehr der Zukunft.
Stillstand: Die Beschlüsse des Diesel-Gipfels helfen den Städten nicht aus ihrem Dilemma. Vor allem der Pkw-Verkehr macht ihnen zu schaffen. Im Bild: Mittlerer Ring in München. | Foto: J. Reichel
Stillstand: Die Beschlüsse des Diesel-Gipfels helfen den Städten nicht aus ihrem Dilemma. Vor allem der Pkw-Verkehr macht ihnen zu schaffen. Im Bild: Mittlerer Ring in München. | Foto: J. Reichel
Johannes Reichel

"NOxy ungelöst" könnte man im Hinblick auf die mauen Ergebnisse des sogenannten Dieselgipfels kalauern - wenn die Situation für die Kommunen nicht so ernst und für die Transportunternehmen nicht so unsicher wären. Denn für Rechtssicherheit hat der Gipfel, der noch nicht mal ein Hügel war, nicht gesorgt. Das werden dann wohl die Gerichte übernehmen. Wieder hat das Zusammentreffen keine Klarheit geschaffen, wer künftig mit seinem Fahrzeug in die Städte hineindarf und wer nicht. Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zeigte sich zu Recht und stellvertretend enttäuscht, dass seiner Verwaltung weiter das Instrument der blauen Plakette verwehrt bleibt. Denn dies hätte für die Administrationen wie für die Zuständigen in den Fuhrparks einen klaren Rahmen gesetzt, wie man künftig investieren soll. Ein Allheilmittel ist das nicht, wie etwa die City-Maut in London zeigt, wo die Luft mittlerweile wieder so schlecht ist wie in Peking. Aber immerhin: Es wäre ein dezidierter Schritt gewesen und ein Signal.

Der jetzige Beschluss bestätigt ja nur, was man ohnehin im September schon beschlossen hatte: Nun aber wirklich! Es gibt ein wenig Kosmetik, aber ein paar Elektrobusse bringen's nicht: 400 Exemplare, so wurde flugs ausgerechnet, könne man damit bundesweit anschaffen, ohne Ladeinfrastruktur für die Nahverkehrsmittel. Die aufzubauen würde alleine für Hamburg 400 Milllionen Euro verschlingen. Das ist der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, der ohnehin nur langfristig wirken wird. Der Fonds, zu einem Viertel wider Willen von der Autoindustrie befüllt, von den auswärtigen Herstellern aber noch nicht bestätigt, wird hinten und vorne nicht reichen.

Die Transport- und Logistikbranche ist auf modernem Stand

Es ist ein klassisches Dilemma. Solange die Politik sich nicht so ehrlich macht und den Autofahrern, die ja auch Wähler sind, verdeutlicht, dass der massenhafte motorisierte Individualverkehr so nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, wird sich die Luftqualität nicht bessern. Damit wäre das Problem an der Wurzel gepackt, das traut sich aber kein Politiker. Die Bundesregierung macht es wie der Vogel Strauß und predigt weiter "Freie Fahrt für freie Bürger", obwohl die Städte sich dieses Mantra längst nicht mehr leisten können - und von "Freier Fahrt" keine Rede sein kann bei jährlich 50 Stunden, die ein deutscher Autofahrer durchschnittlich im Stau verbringt. Der Hund liegt nicht in den paar Tausend Nutzfahrzeugen begraben. Die sind, was das Logistikgewerbe betrifft, ohnehin auf relativ modernem Stand mit Euro 5 und besser - und sie halten die Werte übrigens auch auf der Straße ein, nicht nur im Labor. Die Vans und Trucks erfüllen im Übrigen einen Auftrag, der im Interesse der gesamten Gesellschaft liegt. Und, um das zu ergänzen, die Branche ist längst dabei, auf vielen Feldern alternative Antriebe und Konzepte zu erproben sowie ins Feld zu bringen, allen voran Deutsche Post DHL (StreetScooter), UPS (Lastenräder + Mikrodepots) oder auch Mittelständler wie Meyer Logistik (Elektro + Ergas) etc.

Motorisierter Individualverkehr:Wähler nicht verprellen

Nein, das Problem sind die Millionen von Diesel-Pkw, die täglich in die Städte pendeln, mit offenbar unzureichender Abgasreinigung. Hier nachzubessern, den Finger in diese weiter offene Wunde zu legen, das wäre die Aufgabe der Politik gewesen. Jetzt auf die kommunalen Flotten zu verweisen, ein paar Busse hier, ein paar Radwege dort, ist klassische Symbolpolitik und hätte sowieso angegangen werden müssen. Die Frage der Umrüstungen von Diesel-Pkw, die ja nicht plötzlich alle sauber sind, wie man riechen kann, sobald das Thermometer unter 10 Grad Celsius fällt, kam vorsichtshalber gar nicht mehr konkret auf den Tisch. Ebenso wenig, und das ist aus Branchensicht eigentlich das größte Enttäuschungsmoment des ganzen Berliner Täuschungsmanövers, wurde angesprochen, wie es denn künftig für die gewerblichen Verkehre aussieht. Ob es Ausnahmeregelungen geben wird, wenn, wie schon lange absehbar, Fahrverbote kommen. Nicht nur die Kommunen werden hier im Regen stehen gelassen, die Transport- und Logistikunternehmen auch.

Das ganze Dieseldilemma hätte eine große Chance für die Mobilität in Deutschland sein können. Man hätte aus der Not eine Tugend machen können und einen Modernisierungsschub in Gang setzen können. Stellvertretend sei hier der Präsident des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) Jürgen Fenske zitiert, aus dessen Sicht die Maßnahmen viel zu kurz greifen: "Wir brauchen eine Verkehrswende in den Städten, wenn wir Umwelt- und Klimaschutzziele dort nachhaltig erreichen wollen", forderte er. Und recht hat er: Diese Bundesregierung, ob nun geschäftsführend oder nicht, hatte noch nie und hat erst recht in ihrer Endphase keine Vision für das Land und keine Vision für den Verkehr der Zukunft. Alle reden von Digitalisierung und Industrie 4.0. Was die Digital-Diaspora Deutschland jetzt gebraucht hätte, wäre Verkehr 4.0. Stattdessen protegiert man, wie auch auf dem Feld der Energie- oder Agrarpolitik, ewig das Gestern, statt entschlossen und mutig in die Industrie von morgen zu investieren. Das tun jetzt die anderen - fern im Osten.