Lastenräder haben sich in den vergangenen Jahren zu den Shooting-Stars der City-Logistik entwickelt. Kaum ein KEP-Dienst, der die umweltfreundlichen Lieferfahrzeuge nicht im Praxistest hat. Doch wie zuverlässig und effizient lässt sich die Zustellung in der Stadt tatsächlich mit Lastenrädern organisieren? Dazu wäre zunächst zu betrachten, was eine professionelle Zustellung auf der Letzten Meile überhaupt ausmacht.
Die Lieferung einer Sendung auf der letzten Teilstrecke zum endgültigen Empfänger hat es in sich. Der gebündelte Transport fächert sich auf, es sind viele Einzelziele mit meist geringen Sendungsmengen anzufahren. Geeignete Stellplätze für die Lieferfahrzeuge sind rar, die Fahrstrecken zwischen den Lieferstopps sind kurz und die Erreichbarkeit der Empfänger häufiger nicht gegeben. Hinzu kommt ein Preisgefüge für diese Dienstleistung, das eine enorm hohe Produktivität – zugestellte Sendungen pro Zeiteinheit – verlangt, um den Service rentabel gestalten zu können.
Die Professionalität einer Zustellung hängt von den Motiven des Auftraggebers ab. Soll die Lieferung zuverlässig sein? Schnell? Oder preisgünstig? Hier beginnt das Dilemma der Branche. Zuverlässig und schnell ist nicht preisgünstig. Zuverlässig und preisgünstig ist nicht schnell. Preisgünstig und schnell ist nicht unbedingt zuverlässig.
Unterschiedliche Blickwinkel
Obendrein gestaltet sich die Wahrnehmung der Zustellleistung getrennt an zwei Stellen: beim Auftraggeber zum Zeitpunkt der Auftragserteilung und – häufig nicht deckungsgleich – beim Empfänger bei der Zustellung. So kommen durchaus unterschiedliche Eindrücke zustande, die insbesondere die KEP-Leistungen häufig in ein nicht so positives Licht stellen. Aus Praxissicht reduziert sich der Fokus einer professionellen Zustellung auf der Letzen Meile auf die Zuverlässigkeit und Geschwindigkeit. Die Geschwindigkeit ist wesentlich vom Zeitaufwand abhängig und wir verwenden synonym den Begriff Effizienz.
City-Logistik wird geprägt durch die Versorgung dichter besiedelter, urbaner Gebiete mit knappen Verkehrsflächen und zunehmenden Beschränkungen der Zufahrt. Setzt man Lastenräder ein mit einer geringeren Fahrgeschwindigkeit und Reichweite als z.B. konventionelle Transporter, ergibt sich zwangsläufig ein zusätzlicher Bruch in der Transportkette. Die Sendungen werden gebündelt an sog. Mikrodepots oder Microhubs angeliefert und dort umgeschlagen.
Das bedarf zusätzlicher Laufzeit und Ressourcen, zumeist eine Immobilie und immer Personal. Darunter allein leidet die Laufzeit in der Regel noch nicht. Ausnahme sind Expresssendungen mit einem Terminversprechen. Je früher am Tag eine Sendung zuzustellen ist, desto straffer muss der Prozess organisiert sein. Soll eine Sendung morgens bis 9 Uhr zugestellt werden, dann ist dies einfach unmöglich, wenn der Feederverkehr ein Mikrodepot erst um 8:30 Uhr anfährt.

Fahrradspeichen halten den Querkräften bei zweispurigen Lastenrädern ohne Neigetechnik nicht stand. | Bild: Martin Schmidt

Die Speichen lockern sich und reißen sehr häufig am Kopf- oder am Nippelende ab. | Bild: Martin Schmidt

Erst in der Praxis kommen Zug um Zug die Schwachstellen eines Lastenrades heraus. | Bild: Martin Schmidt
An der Stelle besteht Entwicklungspotential. Die Abläufe der größeren Abwickler von Sendungen hängen nach wie vor an ihren Hauptläufen mit den Linienverkehren. Aus Sicht der Letzten Meile bedarf es schon dort einer Straffung, wenn die Leistungen auf der letzten Teilstrecke bis zum Kunden in einem passenden Mix aus Lage der Arbeits- und Zustellzeit, Effizienz und Produktivität bei einer hohen Zuverlässigkeit erbracht werden sollen.
Dynamische Zustellplanung
Eine besondere Herausforderung stellen dabei die Vorstöße einiger Marktanbieter dar, die dem Kunden noch während des Zustelltages kurzfristige Anpassungen des Zustellzeitfensters anbieten. Sind die Sendungen aus einem Liefergebiet erst einmal unterwegs auf der Tour, dann steht auch die Zustellreihenfolge. Eine Veränderung des Zustellzeitfensters würde die verbleibende Zustellreihenfolge erheblich beeinflussen. Selbst wenn eine gut funktionierende dynamische Routenführung verwendet würde, gehen derartige Serviceansätze deutlich zu Lasten der Produktivität. Die Kosten pro Sendung nehmen zu.
Operativ machbar sind solche dynamischen Serviceansätze durchaus – wenn das Zustellfahrzeug alle Sendungen einer Zustelltour an Bord hat. Werden nun Lastenräder in der Zustellung verwendet, ist dies nicht mehr selbstverständlich. Womit die Unterschiede zwischen der Zustellung mit konventionellen Transportern und mit Cargobikes beginnen.
Cargobikes sind prädestiniert für viele Zustellstopps in kurzen Abständen, kleinere und leichtere Sendungen sowie wenige Sendungen pro Stopp. Logistische Senken zu beliefern macht aufgrund begrenzter Transportkapazitäten ebenso wenig Sinn, wie längere Fahrwege zwischen Stopps auf weniger verkehrsdichten Strecken, auf denen Kraftfahrzeuge schneller vorankommen. Letztendlich hängt es immer von der Struktur des individuellen Einsatzgebietes ab, wie vorteilhaft sich Cargobikes einsetzen lassen. Das Nachladen von Transportgut kann dabei durchaus Sinn machen, wenn die Strecke zwischen Mikrodepot und Zustellgebiet angemessen kurz ist.
Neben der wichtigen Klimafreundlichkeit und dem geringeren Verkehrsflächenbedarf spielen Lastenräder ihre Vorteile aus bei der Benutzung von Radwegen und Abkürzungen, Ausweichmöglichkeiten bei Staus oder bei der Fahrt bis direkt vor die Haustür oder auf den Hinterhof für kurze Laufwege. Das Suchen eines halbwegs geeigneten Stellplatzes fällt fast komplett weg. Es gibt weniger Reibungspotential mit anderen Verkehrsteilnehmern oder den Ordnungsämtern.
Fahrradtechnik als Problem
Problematisch können kleine Hindernisse wie Kantsteine sein oder auch Poller, die nicht breit genug aufgestellt sind. Bei größeren Lasten können auch Strecken mit grobem Kopfsteinpflaster Einfluss haben, bedenkt man die laufenden Betriebskosten eines Cargobikes. Diese sind bislang noch nicht hinreichend gewerbetauglich. Während ein Transporter lediglich tanken und einmal im Jahr zur Inspektion muss, ist der Wartungsaufwand bei den Bikes erheblich.
Immer noch verwendet ein Großteil der Hersteller Komponenten aus der Fahrradtechnik. Diese sind nicht standfest genug. Allein der Vergleich eines Bremsbelages aus der Fahrrad- und aus der Motorradindustrie spricht Bände. Wer Schwerlasträder mit einem Gesamtgewicht inkl. Fahrer und Ladung von 300, 400 oder gar 500 kg sicher abbremsen möchte, braucht sich nicht zu wundern, wenn jede Woche die Fahrradbremsbeläge gewechselt werden müssen.
Ein weiteres großes Problem sind die Laufräder. Die meisten Fahrzeuge sind mit Speichenrädern ausgestattet. Speichenräder sind allein für vertikale Belastungen gebaut. Das ist kein Problem, so lange sich das Lastenrad in der Kurve neigt und sich sämtliche statischen sowie Fliehkräfte in einer Kräfteresultierenden bündeln, die eben vertikal zum Laufrad wirken, also parallel zu den Speichen und quer zur Achse. Sobald die Fahrzeugbauweise zweispurig (und ohne Neigetechnik) ist, wirken erhebliche horizontale Kräfte auf die Speichenräder. Die Speichen lockern sich und reißen sehr häufig am Kopf- oder am Nippelende ab. Folgeschäden bis hin zum Zusammenbruch des gesamten Laufrades sind vorprogrammiert. In der Praxis liegt bei der Wartung der Bikes ein Hauptaugenmerk auf den Laufrädern. Die Intervalle liegen dabei häufig bei nur ein oder zwei Wochen mit entsprechenden Kosten.
Es sind allerdings auch viele andere Bauteile, die noch nicht den harten Anforderungen eines täglichen Gewerbeeinsatzes genügen. Während die Automobilhersteller neue Fahrzeugmodelle vor der Markteinführung ausgiebig mehrere hunderttausend Kilometer testen, kommen Cargobikes ohne jegliche Langzeiterprobung auf den Markt. Erst in der Praxis kommen Zug um Zug die Schwachstellen heraus, quasi ein Feldtest On The Job. Das kostet die Operateure zusätzliches Geld, während die ohnehin teuren Cargobikes insgesamt noch nicht in Mengen produziert und verkauft werden, bei denen sich die Skaleneffekte aus der Produktion merklich auf den Verkaufspreis auswirken würden.
Fehlende Normung
Ein weiteres Problem haftet der immer noch sehr jungen Cargobikeindustrie an. Es gibt keine wirklichen Standards. Es gibt zwar die Anfang 2020 herausgekommene DIN 79010, die Anforderungen und Prüfverfahren für Lastenräder mit einem maximalen Gesamtgewicht von 250 kg definiert. Zusätzlich ist eine Europäische Norm in Arbeit. Für die praktische Anwendung jedoch wären Standards zur kompatiblen Nutzung von Ladungsträgern wichtig. Allen voran steht die Europalette mit ihren Maßen, auf die sich die Vielzahl kleinerer Transporteinheiten bezieht. Eine Handvoll Wechselboxsysteme hält der Markt bereits vor, allesamt leider nicht kompatibel untereinander. Mutig aufgrund der fehlenden technologischen Fahrzeugreife ist derjenige, der mit seiner Flotte bereits heute auf nur ein Modell setzt, um ebenso ein System an Boxen zu verwenden.
Zuletzt sind die Kommunen und Stadtplaner gefragt. An vielen Stellen fehlt auch die Straßenkompatibilität. Die Radwegeinfrastruktur passt zu häufig nicht zu den heutigen Anforderungen an den Radverkehr insgesamt und auch nicht an den Radlogistikverkehr. Seit dem letzten Frühjahr entstandene Pop-up-Bikelanes und vorgezogene Baumaßnahmen sind ein gutes Zeichen und ein wertvoller Beitrag zur zeitgemäßen Umverteilung der verfügbaren Verkehrsflächen. Das reicht nur noch nicht. Verkehrsminister Scheuer hatte im Mai 2019 erklärt, 20 Prozent des urbanen Lieferverkehrs auf Fahrräder verlagern zu wollen. Dass diese Menge erreicht und sogar übertroffen werden kann, ist in der Branche unumstritten. Die Voraussetzungen dafür werden jedoch dringend benötigt: Platz für Lastenräder. Standfeste Lastenräder. Straffe Mikrohub-Prozesse. Und natürlich freundliche und wetterfeste Zusteller. Dann steht der professionellen Zustellung mit Lastenrädern nichts im Weg.
LOGISTRA City-Check live: Online-Expertenrunde
Am 21. Januar 2021 diskutiert Martin Schmidt von 10:30 Uhr an bei einem LOGISTRA City-Check live zusammen mit weiteren Lastenradexperten zu diesem Thema. Hier kann man sich kostenfrei zu der Veranstaltung anmelden.
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