LOGISTRA City-Check pickshare/dm: Drogeriemarkt als Logistikzentrum

Lastenrad-Expresslogistik vom Drogeriemarkt aus: dm pilotiert mit dem Last-Mile-Start-up Pickshare in mehreren Städten, wie sich die taggleiche Zustellung nachhaltig gestalten lässt – und skalieren. Zentral dabei ist neben zuverlässigen E-Cargobikes von ONO und Antric die Software: Die macht jeden Markt zu einem kleinen Logistikzentrum.

Bike-Express: Mit einem nachhaltigen Schnelllieferdienst pilotiert die Drogeriekette dm aktuell in München. Zentral dabei ist der Einsatz von E-Cargobikes. | Foto: J. Reichel
Bike-Express: Mit einem nachhaltigen Schnelllieferdienst pilotiert die Drogeriekette dm aktuell in München. Zentral dabei ist der Einsatz von E-Cargobikes. | Foto: J. Reichel
Johannes Reichel

Quick Commerce boomt – und mit den Schnelllieferdiensten im Food-Bereich ist ein Markt schier explodiert, mit all den negativen Begleiterscheinungen und Implikationen. Das muss doch nachhaltiger gehen, dachten sich die Macher von dm, die den Trend natürlich klar erkennen und sich auch nicht verweigern wollen. Noch ist die Express-Lieferung von Drogeriewaren ein 2021 gelaunchtes Pilotprojekt, das auf die Städte München, Berlin, Karlsruhe sowie Wien beschränkt ist. Aktuell wird die Ausweitung des Service auf weitere Städte im Herbst vorbereitet. Aber man strebt schon an, mit den Erkenntnissen eine Skalierung hinzubekommen, wie uns Teresa Kromer, Strategin in der Filiallogistik und für Filialprozesse bei dm anlässlich unserer Visite im Markt in der Münchner Dachauerstraße erklärte. Allerdings ist der Firmen-Anspruch ein anderer: Denn Nachhaltigkeit wird hier ganz im Sinne der Unternehmensphilosophie umgesetzt.

Erstens soll die Zustellung umweltfreundlich erfolgen, sprich mit Lastenrädern oder Elektrofahrzeugen. Zweitens soll sie „sozial“ nachhaltig sein, sprich die Zustellfahrer erhalten 16 Euro Stundenlohn, neben manchem Trinkgeld, wie der Gründer und Geschäftsführer Björn Paulus vom Projektpartner und Green-Last-Mile-Spezialisten pickshare aus Dortmund versichert. Man wähle die Logistikpartner auch nach diesen Kriterien aus und grenzt sich somit ganz bewusst vom grassierenden Dumping im Lieferbusiness ab. Und drittens soll der Service ökonomisch nachhaltig sein. Im Moment ist es so, dass die Expresslogistik eine Zustellung aus dem Markt in einem Zeitfenster von drei Stunden garantiert, sogar bei Bestellung bis 18 Uhr. Die Liefergebühr beträgt 7,95 Euro, ab 49 Euro reduziert auf drei Euro.

Integration in die Prozesse in der Fililale

Möglich wird das durch die vollständige Integration des Prozesses in den Marktablauf und ins SAP-System. dm setzt hier auf die eigene Filial-Software auf, pickshare managt im Anschluss mit seiner Plattform alle Aufträge, von der Verteilung an die Dienstleister, Tourenplanung, Tourenoptimierung, Verladung, Kundenkommunikation, Live-Tracking bis zu Serviceupgrades. Und während die stationäre Kundschaft einkauft, shoppt im Hintergrund die Online-Kundschaft und Marktleiter Martin Hable sammelt die auf der Smartphone-App online eingegangenen Bestellungen in den eigens konstruierten Defektur-Wagen mit seinen vier schräggestellten Standardformat-Kunststoffboxen. Schon während der Pilotphase sind es nennenswerte Bestellungen täglich, Tendenz steigend, weil man erst jetzt richtig in die Werbung eingestiegen ist. Auch am Eingang des am Rande der City gelegenen dm-Marktes in der Dachauerstraße wirbt ein Plakat mit Lastenrad für die nachhaltige Sofortlieferung.

„Wir wollen das nachhaltig und auf einem bestimmten Niveau leisten können und eben nicht unverträglich ausdehnen“, erklärt Kromer dazu.

Wie Picker, nur im Markt

Damit dadurch der normale Marktbetrieb nicht leidet, sind eigens Mitarbeiter dafür abgestellt, die als „Picker“ fungieren und mit dem Wagen die Waren, wie in der Lagerlogistik präzise und zeitsparend dirigiert von der App, aus den Regalen im Laden sammeln. Zu den Kunden zählen im Moment vor allem Firmen, die ihre Drogeriewaren bestellen sowie Mütter oder Väter mit kleinen Kindern, die die Waren liefern lassen. Selbstverständlich ist innerhalb des Lieferfensters von 18 bis 21 Uhr eine Präzisierung bis auf eine halbe Stunde sowie die Echtzeitverfolgung der Sendung.

Sprich: Die Kunden können die Fahrt des E-Cargobikes „live“ verfolgen. Dass die Lieferung nachhaltig erfolgt, sei für dm-Kunden ein wichtiger Faktor, meint Teresa Kromer und decke sich mit dem Firmenanspruch – siehe oben – die Dinge eben besser zu machen. Das deckt sich mit der Vision des Pickshare-Gründers Björn Paulus, der den Ansatz einst aus dem vom damaligen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten City-Logistik-Projekt „SMile“ weiterentwickelte. Seine Idee es ist, die innerstädtische Belieferung konsolidiert, also gebündelt, damit effizienter und sowieso emissionsfrei hinzubekommen. Nicht mehr über den Tag verteilt, sollen die Lieferlaster eintrudeln, sondern eben einmal täglich – und damit den Verkehr entlaste(r)n.

White-Label-Lösung in Kooperation als Ziel

Er setzt dabei auf eine „White Label“-Lösung in Kooperation und will weg von dem aktuellen System, in dem jeder KEP-Dienstleister seine eigenen und gebrandeten Fahrzeuge durch die engen Stadtstraßen schickt, mit entsprechenden negativen Auswirkungen im Straßenbild – Stichwort „zweite Reihe“. 

„Wir wollen hier keine Effizienzgewinne heben, sondern ein nachhaltiges Versanderlebnis schaffen, dass die Verantwortung von allen Beteiligten in der Logistikkette für soziales und ökologisches Handeln in den Mittelpunkt stellt und den Standard neu definiert“, formuliert der Dortmunder sein Credo.

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, legen die pickshare-Macher einen strengen Nachhaltigkeits-Kriterienkatalog an ihre Logistikpartner an, etwa was die (möglichst emissionfreie) Technik, die operative Kompetenz, aber auch die Entlohnung betrifft. Man arbeitet hier eng und kooperativ zusammen und stellt dabei auch die regionalen Logistiker transparent gegenüber den Kunden dar. Gibt es an einem Ort keinen Logistiker, der die Anforderungen erfüllt, baut das Unternehmen, das sich eigentlich als Logistikplattform mit Softwareschwerpunkt sieht, eben eine eigene Hardware, also Fuhrpark und eine eigene Logistik auf.

Unterstützt wird man dabei übrigens von strategischen Investoren wie dem bekannten und renommierten Großlogistiker „Zufall Logistics Group“, der sich über seine Investmentspare „zu na mi“ bei der jüngsten Finanzierungsrunde an dem Start-up, das eigentlich schon seit 2015 existiert, beteiligte, mit langfristigem Interesse und Impetus, wie uns ein Vertreter von Zufall beim Ortstermin versichert. Auch die Iserlohner U!Ventures GmbH als Teil der LOBBE Gruppe stieg jüngst ein. Auf Risiko-Kapital von Venture-Investoren sei man dagegen weniger aus, meint Paulus.

Schwere E-Cargobikes von ONO und Antric im Einsatz

In München versieht der Logistikpartner die nachhaltigen Lieferdienste mit zwei schweren E-Cargobikes, ein PAT von der Berliner Marke ONO sowie ein Antric ONE vom jungen Bochumer Start-up Antric. Beide Fahrzeuge hätten Stärken und Schwächen, meint Paulus diplomatisch und konstatiert beiden Herstellern aber eine hohe Flexibilität in Sachen Leasing und Service sowie ein praxistaugliches technisches Niveau. Das Wechselbox-System der ONO benötige man für die jetzt eingeübten Prozesse nicht, wie Paulus berichtet. Schließlich peilt man damit auf Mikrodepot-Lösungen, während bei diesem Projekt jeder teilnehmende dm-Markt zugleich auch ein „Depot“ darstellen könnte. Das heißt, die im Store vom Marktleiter Hable kommissionierten Boxen mit den extra noch eingetüteten Waren werden direkt in die Bikes verladen.

Vorteil Antric hierbei: Die Zugänglichkeit über drei Türen und das nochmal größere Volumen. Zudem steigen die Fahrer bei dem Quad leichter zu, während bei der dreirädrigen ONO die Lenksäule leicht im Weg steht. Auch der Vollverkleidung des „tief liegenden“ Berliner Bikes sieht man den Alltag schon etwas an. Das Antric mit seinem stählernen Stoßfänger, den großen Rädern mit Stahlfelgen und der originellen und stabilen Textilhülle schlägt sich bisher sehr robust durch den Lieferalltag. Dass der raue Bodenbelag im Einstieg gerissen ist, ist mehr ein kosmetischer Mangel denn ein wirklicher.

Je mehr Fahrradtechnik, desto mehr Pannen

Faustregel für Paulus: Je mehr Fahrrradtechnik verbaut ist, desto mehr Wartung fällt an. Im Schnitt kommen auf die Gebühren für das aus Unternehmersicht angenehm flexible Leasing der Bikes derzeit noch zehn Prozent Servicekosten oben drauf.  Nach wie vor sei man hier in einem Lernprozess, deutet Paulus an, bescheinigt den Herstellern aber auch hohe Bereitschaft und eine steile „Lernkurve“ zu. Das Feedback aus der Praxis werde offen aufgenommen und möglichst zeitnah umgesetzt. 

Beide schweren Lastenräder sind nur von einer Seite zugänglich, was die Fahrer im Alltag aber meist nicht groß stört. Die Zustellfahrer Mahmoud Makki und Rey Abiyyu zeigen sich gleichermaßen zufrieden mit der Technik, fühlen sich auch vom auf der pickshare-Software basierenden Navi per Smartphone präzise durch den Lieferalltag gelotst. Sie stören sich eher an anderen, grundsätzlichen Dingen. Und die haben nicht mit den Bikes, sondern mit der Akzeptanz im Verkehr zu tun.

Es braucht eine bessere (Lasten)Radinfrastruktur

Häufig bleibt ihnen nichts Anderes übrig, als, wie etwa bei der Ausfahrt von der Laderampe, sich in den Auto-Verkehr einzureihen. Oft sind die Radwege schlicht zu schmal und sie müssen auf der Straße rollen – mit 25 km/h macht man sich da nicht nur Freunde und sie werden öfter mal angehupt. Zu neu ist in Deutschland noch das wiederentdeckte Transportmittel Lastenrad. Paulus zieht den Rahmen noch größer: Für eine Skalierung der konsolidierten Lastenradlogistik brauche es dringend eine passende Infrastruktur.

Bei dm traut man sich jetzt erstmal an die lokale Skalierung, also eine Ausdehnung der Postleitzahlgebiete. Systematisch wie Teresa Kromer, Martin Hable und ihr Team das Thema angehen, gibt es natürlich auch fixe Kriterien, wann ein weiterer dm-Markt in die Expresslogistik integriert wird: Wenn die Distanzen zu groß werden und eine bestimmte Zahl an Bestellungen erreicht ist. Dann wird ein weiterer Markt zum „virtuellen Logistikzentrum“.