München hält Fahrverbot für unnötig und plant dennoch eine radikale Verkehrswende

Bayerische Landeshauptstadt sieht nach neueren Messungen zur Stickoxidbelastung keine Notwendigkeit mehr für Diesel-Fahrverbote. Generell plant die Kommune aber mit einem Konzept 2030 eine Verkehrswende und läutet das Ende der "autogerechten" Stadt ein. Logistik zentraler Hebel.

Viel zu oft ist alles dicht, nicht nur am "Mittleren Ring": Münchens Oberbürgermeister will unabhängig von NOx-Debatten eine radikale Verkehrswende in der Landeshauptstadt. | Foto: J. Reichel
Viel zu oft ist alles dicht, nicht nur am "Mittleren Ring": Münchens Oberbürgermeister will unabhängig von NOx-Debatten eine radikale Verkehrswende in der Landeshauptstadt. | Foto: J. Reichel
Johannes Reichel

Die bayerische Landeshauptstadt München gibt Entwarnung in Sachen hoher Stickoxidwerte und damit Diesel-Fahrverbote. Wie man mittels Anfang 2018 neu installierten Messstellen und sogenannten Passivsammlern ermittelt haben will, würden lediglich vier Messstellen einen Jahresmittelwert oberhalb der EU-Grenzwerte ausweisen. Dieser liegt bei 40 Mikrogramm NOx pro Kubikmeter Luft. Bei den älteren Messungen im Jahr 2017, die auf Hochrechnungen des Landesamts für Umwelt teils mit Fuhrparkannahmen von 2015 beruhten, lagen dagegen nur zwei Messstellen im akzeptablen Bereich.

Generell verzeichnet man in München eine rückläufige Tendenz im Vergleich zu 2015, die auf die Erneuerung des Fuhrparks und einen steigenden Anteil von Elektro- und Hybridfahrzeugen zurückführt. Für Oberbürgermeister Dieter Reiter ist mit den neuen Messwerten auch das drohende Fahrverbot für Diesel-Fahrzeuge vom Tisch. Allerdings sieht er weiterhin Handlungsbedarf bei den großen Ring- und Ausfallstraßen, an denen die Werte weiterhin deutlich über dem Erlaubten liegen. Dafür liegen die Werte für Feinstaub, vor zehn Jahren noch das größere Problem, mittlerweile seit einigen Jahren unterhalb des Grenzwerts.

Modellstadt 2030: OB Reiter will eine radikale Verkehrswende

Zudem strebt Reiter unabhängig von der akuten Debatte ein komplett neues Verkehrskonzept für München an, das vor allem den motorisierten Individualverkehr radikal zurückschneiden würde. "Wir können nicht so weitermachen. Die Mehrheit der Stadt will eine Veränderung", sagte der OB bei der Vorstellung des Konzepts "Modellstadt 2030" in einer großen Stadtratsdebatte. Dieses war von der sogenannten Inzell-Initiative unter Federführung des Planungsreferats und der BMW Group erarbeitet worden. Es sieht den Ausbau platz- und umweltschonender Nahmobilität vor und bezieht explizit auch eine nachhaltige City-Logistik mit in das Konzept ein, die man als wesentlichen Hebel für die Erreichung der Ziele erachtet. Unter dem Stichwort "Versorgtes Quartier" befürworten die Autoren eine saubere und leise Ver- und Entsorgung und Logistik. Die Feinverteilung von Waren solle quartierweise mit emissionsarmen Fahrzeugen erfolgen.

"Dies erlaubt ein effiziente und gegenüber den Freizeitnutzungen und Hauptverkehrszeiten intelligente zeitliche Organisation", heißt es in dem Text.

Man strebe eine dezentrale Versorgung an. Konkret aufbauen will man dabei auf den "positiven Erfahrungen laufender Pilotprojekte", womit vor allem die Mikrodepot-Lastenrad-Projete im Rahmen der City2Share-Initiative gemeint sein dürften. Kurz- und mittelfristig will man die Logistik in Stadt und Region München umbauen.

"Wichtige Voraussetzungen dafür sind die Neuaufteilung, das Management und die Bepreisung der Räume - mit diesen Werkzeugen geht die Logistik Hand in Hand", formulieren die Autoren.

Als Instrumente sieht man neben der antizyklischen Versorgung, die Elektrizifierung der Logistik und Fahrzeuge, unterirdische und dezentrale Hubs und die Feinverteilung mit Lastenrädern. 

Fraglich ist allerdings, ob das ambitionierte Konzept, das vorerst nur eine Diskussionsgrundlage darstellen will, im Stadtrat eine Mehrheit findet. Die Grünen signalisierten der SPD von OB Dieter Reiter schon weitgehende Unterstützung, verlangten aber bis zum Sommer konkrete Vorschläge für Maßnahmen, damit die Debatte nicht zur "Showveranstaltung" werde, wie Fraktionschefin Katrin Habenschaden erklärte. Die CSU-Fraktion hatte sich zwar bereiterklärt, oberirdisch so weit es gehe Parkplätze abzubauen. Dafür wurde aber beantragt, dass für 70 Prozent der wegfallenden Stellplätze Alternativen geschaffen werden müssten, etwa in Firmenparkhäusern oder neue Parkhäuser mit Leitsystemen.