PIN21-Konferenz: Elektromobilität einfach machen!

Wie man E-Mobilität im gewerblichen Bereich bereits wirtschaftlich umsetzen kann, damit befasste sich die PIN24-Konferenz bei Paul Nutzfahrzeuge. Und brachte den Praktikern vor allem Retrofits als Lösung nahe.

Was (alles) geht: Paul Nutzfahrzeuge versammelte die gewerbliche Elektro-Szene beim jährlichen Netzwerktreffen, das jetzt PIN21 heisst. | Foto: J. Reichel
Was (alles) geht: Paul Nutzfahrzeuge versammelte die gewerbliche Elektro-Szene beim jährlichen Netzwerktreffen, das jetzt PIN21 heisst. | Foto: J. Reichel
Johannes Reichel

Unter neuem Namen, aber mit bekannter Mischung hat die Firma Paul Nutzfahrzeuge in Vilshofen zum zweiten Mal eine Konferenz zum Thema gewerbliche Elektromobilität veranstaltet. Beim sogenannten Paul Innovation Network PIN21 ging es vor allem darum, wie sich die Elektrifizierung im gewerblichen Fuhrpark bereits heute organisieren lässt. "Die Technik funktioniert und ist bewährt. Wir brauchen keine weiteren Pilotprojekte. Deshalb ist das hier ein Event für Macher", appellierte Paul-Nutzfahrzeuge-Geschäftsführer Walter Pötzinger zum Auftakt. Auch die E-Mobilitätsberaterin Annette Schwabenhaus zeigte sich überzeugt:

"Manche Leute denken, Elektromobilität sei wie Bauchweh, geht vorbei. Das wird nicht der Fall sein. Wir sollten schnell den Schalter umlegen, auch mental", so ihr Plädoyer.

Schwabenhaus verwies auf die rasanten Steigerungsraten der letzten Jahre, in denen sich die Zulassungen von BEV, aber auch PHEV-Modellen bei Pkw jeweils fast verdoppelt hätten. Sie glaubt, die Umstellung auf Elektromobilität sei nicht nur wegen der drohenden Strafzahlungen bei Verfehlung der CO2-Flottengrenzwerte zwingend. Sondern auch deshalb, weil die Effizienz im Gesamtprozess gegenüber jeder anderen Antriebstechnologie weit überlegen sei. "Wir werden nur zehn Prozent mehr Strom brauchen als bisher, einfach, weil E-Antriebe so effizient sind", prognostiziert die Fachfrau. Gerade in gewerblichen Fuhrparks sei auch der "break even" schneller erreicht, aufgrund der höheren Laufleistungen. Sie riet auch dazu, sämtliche Födermöglichkeiten in Anspruch zu nehmen, auch wenn es einem die Regelungen nicht gerade leicht machten und die Zeitfenster für Anträge teils extrem schmal seien.

Einstieg in den Umstieg: Alle Abteilungen "mitnehmen"

In diesem Punkt ist sie sich mit Manuel Dehmel einig, der für CityWatt, eine Tochterfirma des Energietechnikspezialisten Praml, über den praktischen Einstieg in einen Elektrofuhrpark referierte. Der Anbieter fungiert als Schnitt- und Schaltstelle zur Umsetzung von E-Mobilitätsprojekten und will so das Handling für Kunden vereinfachen, die sonst alle Einzelbausteine aus Fahrzeug, Ladeinfrastruktur, Stromprovider und Abrechnung selbst zusammenfügen müsse. Zudem gelte es, firmenintern die verschiedenen Abteilungen aus Management, Fuhrpark, Mitarbeitern und Personalabteilung zusammenbringen. Die Dienstleistungen des Anbieter reichen bis hin zu einer Integration von Photovoltaik-Anlagen. Man habe bereits 6.000 Energieprojekte erfolgreich umgesetzt, insofern genug Expertise im Strombereich, warb Dehmel.

Neue Geschäftsmodelle mit Ladeinfrastruktur

Dabei solle man bei der Umsetzung von Ladeinfrastruktur auch standortübergreifend denken und berücksichtigen, dass man mit der Schaffung von Ladeinfrastruktur auch ein neues Geschäftsmodell eröffne. So könne man mit attraktiv gestalteten Ladeplätzen etwa mit Bistro-Angebot durchaus ein paar "Autofahrer rüberziehen", warb Dehmel. Praml hat etwa am Standort Ruderting einen großformatigen Ladepark realisiert, an dem sich diverse Ladeanschlüsse verschiedenster Couleur in attraktiver Umgebung finden. Er geht derzeit noch von einer Amortisation von Anlagen im Bereich von 9 bis 11 Jahren aus, glaubt aber, dass sich das rasant beschleunigen könnte mit dem Markthochlauf der E-Mobilität und entsprechend steigender Nutzerzahl an den Ladeslots.   

Große Potenziale bei Umrüstung von Bestandsfahrzeugen

Die gibt es bereits bei Paul Nutzfahrzeuge am Standort in Vilshofen. Der Truck-Spezialist fokussiert dabei vor allem auch auf die Elektrifizierung von Bestandsfahrzeugen und rüstet etwa ausrangierte Mercedes-Benz Vario mit einem Umrüstkit des Achspezialisten BPW um. "Das Umrüstungsprozedere wurde im Vergleich zum Vorjahr weiter optimiert, standardisiert und dokumentiert, sodass wir jetzt von einer Kleinserie sprechen können", erklärt der Projektleiter bei Paul-Tochter Evade Thomas Kotowski. Viele Komponenten werden vorkonfektioniert an das kleine "Band" im Werk in Vilshofen geliefert und zügig verbaut. Noch viel stärker als am Anfang, als man versuchte, möglichst viele Altteile zu verwenden, hat man mittlerweile auch die Nebenaggregate und Komponenten wie Heizung auf den elektrischen Antriebsstrang angepasst.

"Wir haben hier ein quasi neuwertiges Elektrofahrzeug in der Hülle eines Verbrenners", meint Kotowski.

Quasi sofort lieferbar: Zwei Wochen Umbauzeit

Etwa zwei Wochen veranschlagt er nun für die Umrüstung sowie komplette technische Wiederaufbereitung inklusive Neulackierung eines Bestandsfahrzeugs, zwei Tage für die technische Prüfung. "Der Vorteil besteht darin, dass die Kunden genau ihr Fahrzeug mit teurem Spezialaufbau exakt so wieder erhalten, wie sie es einst als Verbrenner konfiguriert haben, nur eben mit Elektroantrieb", meint Entwickler Michael Barth. Häufig seien die Aufbauten an den Fahrzeugen mehr Wert als die Basis, sodass sich das "Retrofit" lohne. Kotowski verspricht mindestens zehn Jahre weiterer Laufzeit der Fahrzeuge. "Das rechnet sich", verspricht der Evade-Mann. Die Kommunen stünden ja teils unter enormem Druck, keine neuen Diesel-Modelle mehr anzuschaffen. Die Umrüstung sei da der ideale Kompromiss. Zumal es eben in diesem Segment der 7,5-Tonnen-Transporter noch keine elektrifizierten Modelle von großen OEMs gebe.

Letzter Schliff für das BPW-Retrofit-Serienmodell

Die wurden jetzt noch ergänzt durch ein neues Touchdisplay in der Mitte, das sämtliche nötige Informationen bereithält, neben dem Akkustand und der Reichweite etwa auch den Druckluftstand in den Bremskreisen. Per Fingertipp lässt sich das Bild der Rückfahrkamera auf den Schirm bringen, das automatisch aufscheint, wenn der Rückwärtsgang per Hebelchen eingelegt wird. Die sogenannte C-Serie verfügt jetzt auch über ein gesetzlich vorgeschriebenes Fahrgeräusch, das von außen mit leisem Brabbeln an einen kleinvolumigen Otto-Verbrenner erinnert.

Die Fahrgeräusche aus dem Antrieb wurden weiter minimiert, man hört eigentlich mehr die Servopumpe oder leise den Druckluftkompressor. Der hat allerdings wenig Arbeit: Denn die Rekuperation ist, abhängig vom Stand des Gaspedals, so ordentlich, dass man eigentlich nur für den völligen Stillstand die etwas abrupt ansprechende Betriebsbremse benötigt. Das soll auch die Wartungskosten drastisch senken. Mit speziellen Bremsbelägen will man hier auch vorbeugen, dass die Bremsen verglasen oder korrodieren, erklärt ein Entwickler. 

Busse: Aus alt mach' neu mit Tassima

Auch bei den Bussen ist man bei Paul Nutzfahrzeuge mittlerweile im Umrüstgeschäft: Ein City-Tour-Bus aus Berlin ist gerade in der Elektroumrüstung mit einem Tassima-Bausatz und Ziehl-Abegg-Achse. Außerdem ist man bei Paul auch Umbaupartner für die e-trofit-Umrüstung von Bestandsbussen, die jetzt in Serie geht, wie e-trofit-CEO Andreas Hager berichtete. Auch ein erster Lkw mit Elektroumrüstung geht jetzt in den Praxisbetrieb, von dem man sich wertvolle Erkenntnisse erhofft. Denn, wie ein Etrofit-Entwickler anmerkt, ergebe die Umrüstung gerade bei Lkw Sinn, wo der Motor die Hauptlast trage, nach fünf Jahren häufig fällig sei, während die übrigen Komponenten noch gut in Schuss seien.

Ökonomie trifft Ökologie: Retrofit rechnet sich

Auch hier schlägt man in die gleiche Kerbe: "Retrofit rechnet sich", wirbt Hager und macht eine breit unterlegte Rechnung auf. Für einen Linienbus mit 60.000 Jahreskilometern und einem Verbrauch von 40 l/100 km, bei einem Strompreis von 18 ct und 1 Euro pro Liter Diesel fahre man auf neun Jahre gerechnet um 110.000 Euro günstiger als mit dem Diesel-Pendant. Aber auch als mit einem neuwertigen Elektrobus, etwa dem Mercedes-Benz eCitaro, dem sich der Retrofit-Bus zudem in Sachen Reichweite überlegen meint. Das komplette Interieur lasse sich modernisieren, inklusive WLAN und neuer Sitzausstattung. Für die Serienversion des e-trofit-Busses greift man jetzt übrigens auf die kompakten und relativ leichten Lithium-Ionen-Akkus von Voltabox zurück, nicht mehr, wie ursprünglich intendiert, auf ein Invenox-System.

Mercedes-Benz Vans: Elektro soll in den Mainstream

Eine Klasse kleiner kündigte Benjamin Walde von Mercedes-Benz eVans eine Elektrooffensive im Transporterbereich an. Nach dem eVito und eVito Tourer, von dem man 2019 etwa 800 Stück zugelassen habe, kommt der eSprinter sowie mit dem EQV auch eine fernstreckentaugliche Großraumlimousine. Hier soll der 100 kWh-Version mit 400 km Reichweite noch eine kleinere Variante zur Seite gestellt werden, die etwa 260 km Reichweite erzielt. Außerdem avisierte Walde schon mal die Elektrovariante des City-Vans Citan, die aber erst auf Basis der nächsten Generation des Renault Kangoo anrollt. Starke Ansage: Beim eVito will man für 2020 eine Verdreifachung der Absatzzahlen erreichen. Und eine Brennstoffzelle hält man für schwerere und weiter Anwendungen im Sprinter-Segment auch nicht für unplausibel, wie Walde anklingen ließ.

Greifbare Alternative: LNG im Fernverkehr derzeit alternativlos

Dass es nicht immer und sofort batterieelektrisch sein muss, darauf wies wiederum ein Vertreter der Firma Shell hin, die jetzt im großen Stil in das Thema LNG einsteigen will. Eine großindustrielle Anlage zur Produktion CO2-neutralen Flüssigerdgases sei in konkreter Planung, mit der man 35 bis 40 Tankstellen an Fernstraßen in Deutschland versorgen wolle. LNG aus Biomethan sei die einzige, konkret verfügbare Technologie, mit der sich Fernverkehrs-Lkw CO2-neutral betreiben ließen. Er sieht Wasserstoff erst als übernächsten Schritt.

Exotenstatus: Wasserstoffverbrennungsmotor

Denn würde Markus Schneider am liebsten gleich gehen, der als Vertreter des Innovators Keyou eine Lanze für das exotische Konzept "Wasserstoffverbrennungsmotor" brach: "Mit Wasserstoff hat der Verbrenner noch eine lange Zukunft", glaubt Schneider und fuhr eine Breitseite an Daten auf. Man sei mittlerweile bei einem Wirkungsgrad von 44,5 Prozent, damit besser als der Diesel, liege in der Tank-to-Wheel-Betrachtung um ein vielfaches besser und weit unter dem künftigen CO2-Grenzwert für Nutzfahrzeuge, benötige keine seltenen Rohstoffe und spare viele Kilo an Nutzlast gegenüber batterieelektrischen Antrieben ein.

Schneider glaubt für den Lkw-Bereich: "Wasserstoff schlägt Batterie". Den Einwurf, dass die Herstellung von Wasserstoff höchst energieaufwändig sei, konterte Schneider mit der Anmerkung, man habe in Anbetracht der hohen Potenziale der Solarthermie kein Energieproblem. Die Wasserstoffiwirtschaft sei schlicht "alternativlos" und das Rückgrat der Ökonomie der Zukunft.