Radlogistik-Report RLVD: Weiter im Aufwind trotz wenig Rückenwind

Der Report konstatiert in der Branche quer durch Hersteller, Radlogistiker, Händler und Berater weiter kontinuierliches Wachstum, obwohl die politischen Rahmenbedindungen nicht beflügeln. Gefordert wird eine einfachere, höhere bundesweite Förderung für Räder, Leasing und Mikrodepots, gerade vor dem Hintergrund der verfehlten Klimaziele im Verkehrssektor. Denn generell dominiert weiter der Diesel und große Vans.

Kein Rückenwind, trotzdem im Aufwind: Die Radlogistiker legen weiter zu und erwarten für die nächsten fünf Jahre jährlich ein Drittel mehr Transporte. | Foto: RLVD
Kein Rückenwind, trotzdem im Aufwind: Die Radlogistiker legen weiter zu und erwarten für die nächsten fünf Jahre jährlich ein Drittel mehr Transporte. | Foto: RLVD
Johannes Reichel

Die Radlogistikbranche sieht sich weiter im Aufwind und hat im jüngsten Branchenreport des Radlogistik Verband Deutschland e.V. ein jährliches Wachstum von 30 Prozent in den nächsten fünf Jahren prognostiziert. Der Verband arbeitete für den Report, in dem 67 Unternehmen aus Industrie, Radlogistik, Handel und Beratung befragt wurden, erstmals mit der Technischen Hochschule Wildau zusammengearbeitet, um die aktuellen Zahlen zur Branchenentwicklung aufzubereiten. Inflation, Energiepreise und der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine würden ein "anspruchsvolles, wirtschaftspolitisches Umfeld" erzeugen. Allerdings zeigt sich die Radlogistik resilient, mit ihren vielen unterschiedlichen Akteuren. Der Gesamtumsatz der Branche legte von 2021 auf 2022 um 50 Mio. € auf 175 Mio. € zu, ebenso stiegen die Beschäftigtenzahlen im gleichen Zeitraum um über 1.250 Stellen auf insgesamt 4.200 Beschäftigte. Für das Jahr 2023 gehen 72 Prozent der an der Teilnehmenden von einem weiteren Personalzuwachs aus. Das sei allerdings ein Anstieg nicht ganz ohne Wachstumsschmerzen.

"Auch die Radlogistik-Branche klagt über de Fachkräftemangel. Mehr als der Hälfte der Befragten fällt es schwer oder sehr schwer Personal zu finden. Besonders gefragt sind Mechaniker:innen, Fahrer:innen und Verkäufer:innen", skizziert der Report. Vor allem im Bereich Elektroniker/Mechatroniker (30 Prozent) sei der Mangel groß, aber auch Fahrer*innen werden mit 20 Prozent genannt.

Auf der Herstellerseite haben sich die Absätze von Lastenrädern und -anhängern auf fast 27.300 Lastenräder und -anhänger fast verdoppelt. Einige Akteure haben zwar noch Lieferprobleme, bei mehr als der Hälfte sind jedoch Lastenräder für den Umstieg auf saubere Transporte verfügbar. Der größte Bereich fehlender Teile umfasst elektronische Komponenten wie Akkus und Chips. Es wurden jedoch auch viele weitere Komponenten benannt, deren Beschaffung derzeit kritisch ist, wie Bremsen, Rahmen oder Federgabeln.

„Erstaunt hat uns in den Daten der hohe Exportanteil der Hersteller von 45 Prozent. Der Absatzmarkt der Deutschen Lastenradhersteller ist damit zu einem relevanten Teil außerhalb der Landesgrenzen“, ergänzt Prof. Christian Rudolph, Leiter der BMDV-Stiftungsprofessur Radverkehr in intermodalen Verkehrsnetzen und Teil des Autor:innen-Teams der TH Wildau.

Er konstatiert aber generell, dass sich die Radlogistik zunehmend professionalisiert und sich ganze Ökosysteme um die Fahrradlogistik entwickelten. Zudem erhöhe sich die Verlässlichkeit der Fahrzeuge. Im Zuge dessen könnten alltäglich anfallende Aufgaben auf der letzten Meile fachgerechter bewerkstelligt werden, als noch einige Jahre zuvor. In manchen Städten ist die Fahrradlogistik integrativer Bestandteil einer zukunftsorientierten, nachhaltigen und stadtverträglichen Verkehrs- und Stadtplanung geworden. Die Anzahl der Unternehmen, die ökologische Last-Mile-Lieferdienste anbieten, steigt kontinuierlich, wie der Branchenreport und die steigende Anzahl an Mitgliedern des RLVD verdeutlichen.

"Trotz dieser positiven Signale hat die Fahrradlogistik weiterhin einen geringen Anteil an der letzten Meile. Konventionelle dieselbetriebene Lieferwagen kommen nach wie vor am häufigsten zum Einsatz. Die Folgen sind besonders in urbanen Räumen sichtbar", moniert Rudolph.

Parken in zweiter Reihe, auf Geh- und Radwegen, das Versperren von Zufahrten sowie weitere Behinderungen seien häufig zu beobachtende Verkehrsordnungswidrigkeiten. Dies werde insbesondere von Anwohnenden bemängelt, jedoch selten geahndet, vielleicht auch weil die Behörden keine alternativen Lösungen anbieten könnten, so die Mutmaßung.

"Zustellkonzepte mit konventionellen Lieferwagen sind aktuell immer noch attraktiv für die Dienstleister", stellen die Fachleute fest.

Dabei brauche es jetzt akutes Handeln aller Logistikunternehmen und insbesondere der Politik, die den Last-Mile-Operatoren strengere Vorgaben machen müsse. Leider sei aktuell auf vielen unterschiedlichen Ebenen genau das Gegenteil zu beobachten. Dabei böte die Last-Mile-Logistik mit ihren innovativen Lastenrädern sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch das Potential für eine Trendwende im urbanen Lieferverkehr, plädieren die TH-Experten.

Fortschritt: Von der Wechselbrücke in stationäre Depots

Sogar im Bereich der für den letzten Umschlag benötigten innerstädtischen Mikrodepots sind Fortschritte zu verzeichnen. So ist zu beobachten, dass der Wechsel von der mobilen Wechselbrücke rein in die innerstädtische Logistikimmobilie schon teilweise geschafft wurde (vgl. z.B. DB Smart City Mikrodepot Berlin Alexanderplatz). Nur so kann die Radlogistik effizient und wirtschaftlich agieren.

Grün und sicher als Transportmittel

Offenbar herrscht in der Radlogistik auch ein hohes Sicherheitsniveau, es gebe keinen Verkehrstoten zu beklagen. Damit sei das Transportmittel nicht nur umweltfreundlich, sondern auch sicher. Die Radlogistik, die im Wesentlichen von kleinen und mittleren Unternehmen getragen wird, habe durch den Einsatz ökologischer Lastenräder im Jahr 2022 ca. 620 t CO2 eingespart gegenüber einer Last-Mile-Logistik unter Einsatz von Dieselfahrzeugen, rechnen die Autoren vor.

„An dieser Stelle ist noch deutliche Luft nach oben um einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz auf der letzten Meile beizutragen“, mahnt Dr. Tom Assmann, Vorsitzender vom RLVD und Mitautor.

Obwohl methodisch die großen KEP-Dienstleister im Branchenreport nicht erfasst sind, sei man insgesamt vom 30-Prozent-Ziel Radlogistik auf der Letzten Meile bis 2030 noch weit entfernt. Trotz der wirtschaftlich schwierigen Situation der Radlogistik ist die Stimmung durchweg positiv in der Branche. An die Bundespolitik richtet der Verband klare Worte.

„Es kann nicht sein, dass der Verkehrsbereich jährlich eklatant seine Klimaziele verfehlt, trotz Förderung. Wir fordern eine Verkehrspolitik, die heute verfügbare Effizienztechnologien mit gleichen Wettbewerbschancen und Förderungen versieht“, appelliert Jonas Kremer, Fachvorstand Politik des RLVD.

Dazu gehören die Förderfähigkeit von Leasing in der gewerblichen Lastenradförderung, die Erhöhung der Fördersätze, der deutliche Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur, die Verbesserung der Mikro-Depot Richtlinie, faire Preise und der Wegfall der versteckten Subventionen für Verbrennerfahrzeuge. Wie kompliziert bisher das Abrufen der Förderungen ist, zeigt auch die Quote: Zwar ist 94 Prozent der Befragten die Förderung für Lastenräder bekannt, genutzt wird sie aber nur von 46 Prozent.

Mikrodepotförderung kaum bekannt

Und auf 54 Prozent Bekanntheit kommt die Mikrodepotförderung, genutzt wird sie von 0 Prozent. Es handle sich dabei um ein "bürokratisches Monster", moniert etwa auch Arne Behrensen, Radlogistikexperte vom Bündnis Zukunft Fahrrad bei der Vorstellung des Reports. Er forderte eine deutliche Vereinfachung der Antragsprozesse, die von kleineren Unternehmen nicht zu leisten seien.

Förderung für Lastenräder novellieren

Bei den Rädern sollte die Förderung, so die Wünsche der Befragten, so novelliert werden, dass neben Leasing auch die Anschaffung von Lastenrädern oder -anhängern ohne Elektromotor oder von Lieferbikes sowie „regulären“ Longtails, die Gespanne aus Pedelec und Lastenanhänger ermöglichen. Zudem fordert man die Erhöhung der Fördersätze auf 40 Prozent der Anschaffungskosten bis max. 9.000 Euro pro Lastenrad sowie eine Abwrackprämie bei Abschaffung eines Verbrenners. Nicht zuletzt solle die Förderung auch junge, gebrauchte Lastenräder umfassen.

"Der Erfolg ist bisher selbstgemacht. Für wirksamen Klimaschutz brauchen wir bis zum Jahr 2030 30%+X Anteil Radlogistik und Lastenräder im Wirtschaftsverkehr. Dafür braucht es noch mehr Wachstum. Hier fehlt uns bisher jedoch die richtige Weichenstellung der Bundespolitik. Zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehr braucht es faktenbasierten Fokus auf Energieeffizienz und Technologie, die jetzt verfügbar sind. Als Branche sind wir lieferfähig. Aber dafür braucht es faire Marktbedingungen, bessere und höhere Förderung von Lastenrädern und -anhängern, mehr Gestaltungsspielräume und Planungskapazitäten für Kommunen und deutlichen Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur", erklärt der Vorstand des RLVD.