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Stellantis Van-Offensive: Marktführer bis 2027 - halb unter Strom bis 2030

Der Konzern hat das Potenzial der leichten Nutzfahrzeuge erkannt. Ein Drittel des Umsatzes steuern sie bereits bei. Und den will man verdoppeln, bis 2027 Marktführer weltweit werden. Helfen soll dabei ein vollelektrisches Line-up, das in die zweite Generation geht: Etwas mehr Reichweite bei City- und Kompakt-Van, ein neuer E-Antrieb beim Großen, der am meisten profitiert. An Wasserstoff hält man fest – und ergänzt den Ducato Fuel Cell. Erste Einblicke im Rahmen des "International Van of the Year".

Großer Aufgalopp in Balocco: Der Konzern präsentierte sein Van-Line-up bei einem Strategie-Tag auf dem eigenen Testgelände nahe Turin. | Foto: Stellantis
Großer Aufgalopp in Balocco: Der Konzern präsentierte sein Van-Line-up bei einem Strategie-Tag auf dem eigenen Testgelände nahe Turin. | Foto: Stellantis
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Johannes Reichel

Nicht weniger als die Marktführerschaft weltweit und zwar schon bis 2027, das ist das große Ziel, das Stellantis-LCV-Chef Jean-Philippe Imparato ausgegeben hat. Kein Wunder, dass die Verantwortlichen die Pläne bei einem „Commercial Vehicles Ambition Day“ auf dem Fiat-Testareal in Balocco präsentierten. Ein Drittel zum Konzernumsatz tragen die leichten Nutzfahrzeuge bei, Imparato will die Zahl schlicht verdoppeln bis 2030 zum Referenzjahr 2021. Mit sechs Marken unter einem Dach soll das funktionieren. Eben weil jede Marke regional ihre Stärken hat – und man weltweit auf ein Netzwerk von 20.000 Händlern zugreifen kann, wie Imparato stolz vermeldet. So ist etwa Opel in Deutschland stark, Fiat in Italien, Vauxhall in UK, Peugeot und Citroen traditionell in Frankreich – ja, und eben Dodge in USA eine Hausnummer, die alleine so viel Stückzahl macht, wie alle anderen Marken in Europa zusammen, bald übrigens auch mit dem neuen, auch in USA immer populäreren Ducato alias ProMaster (3,6-Liter-Benziner & Elektro) und gleich vier elektrischen Pick-ups, ohne die es in Nordamerika nun mal nicht geht. Aber nur ein Netzwerk reicht eben nicht.

Denn die Verdoppelung soll einhergehen mit zügiger Elektrifizierung: Bis 2030 sollen 40 Prozent des Portfolios vollelektrisch angetrieben sein. Was fast ein bisschen konservativ geplant scheint. Informell gibt Imparato denn auch zu, dass er darauf baut, dass sich die Kunden von der zweiten Generation BEV-Modelle, die jetzt am Start steht, überzeugen lassen und der Diesel bis 2030, spätestens bis 2035 ein „selbstauslaufendes“ Modell ist. „Love electric“, schwärmt Imparato – und meint: Bald werde kaum jemand mehr einen Diesel wollen. „Zero Emission“ steht klar im Zentrum der Ambitionen und sechs Marken unter Strom, bekräftigt auch Xavier Peugeot, Vice President der Business Unit Commercial Vehicles, und zwar inklusive weltweitem Ladeservice über die Tochter Free2Move und Ladelösungen ab Händler.

Was andererseits nicht heißt, dass man den Diesel nicht „up to date“ hält: So bekommt etwa der Ducato-Boxer-Jumper-Movano nochmal ein komplettes Antriebsupdate mit dem 2,2-Liter-Alfa-Diesel-Motor, der um zweistufige Abgasreinigung ergänzt wird – und „Euro6E-ready“ und dank Feinarbeit an Verbrennung und Aerodynamik um neun bis 15 Prozent sparsamer sein soll, wie Produkt-Chef Luca Marengo verspricht.

Der E-Ducato bekommt einen konkurrenzfähigen Antrieb

Wichtiger sind aber die Neuerungen bei den Stromern, zu denen Stellantis explizit auch die Hydrogen-Vans zählt: Hier kommt 2024 ein Update für den Hydrogen-Kompaktvan sowie eine Fuel-Cell-Version des großen Vans (Ducato-Jumper-Boxer-Movano), die dann 500 Kilometer weit kommen soll, mit einem 7-Kilo-Wasserstoff-Tank unterflur. Allerdings wiegt das Package genauso schwer wie die neue BEV-Variante mit 110-kWh-Akku. Für Wasserstoff sieht man tatsächlich Anwender, für die besonders das Thema Tankzeit kritisch ist – der FCEV-Van soll in fünf Minuten befüllt sein. Wenn man denn eine H2-Tankstelle findet. Und wenn die dann auch noch den raren grünen Wasserstoff zu vertretbaren Kosten serviert, ist die Wasserstoffwelt auch im Van-Segment heil.

Imparato zählt hier auf die Investitionen in die Tankstelleninfrastruktur, die allen voran Frankreich und Deutschland angekündigt haben – und verwehrt sich gegen den Vorwurf, das sei ein „kostspieliges Abenteuer“. Man wolle mit der Technologie bereitstehen, wenn das Umfeld denn dereinst passen wird. 2.500 H2-Stationen soll es bis 2030 in der EU geben, an Fernrouten alle 200 Kilometer eine, zitiert man die EU-Pläne. Die sollen dann 450.000 leichte Hydrogen-Nutzfahrzeuge versorgen, von denen natürlich möglichst viele aus dem Stellantis-Konzern stammen sollen – und nicht von den Landsleuten von Renault, der zweiten einsamen Marke, die auf H2 im Van setzt.

Es wird eng für den Fuel-Cell-Van

Eng wird es für den FCEV-Van, der auf das Package des Vivaro Hydrogen baut und eine kompakte Brennstoffzelle mit 45 kW (unter den Sitzen) zu einem 11,5-kW-Akku und einem 110-kW-E-Motor (400 Nm) kombiniert, aber auch durch die enorme Entwicklung, die der BEV in der zweiten Generation macht. Im Falle des komplett erneuerten E-Ducato ist das besonders auffällig: 420 Kilometer Reichweite in WLTP soll der neue E-Van schaffen, was etwa 24 kWh/100 km entspräche, in Ordnung für einen E-Van von diesem Format. Der jetzt nur noch mit einem Lithium-NMC-Akku kommt – und zwar mit satten 110 kWh Bruttokapazität (ca. 100 kWh Netto). Das ist die Lehre, die man aus den durchwachsenen Erfahrungen mit der ersten Generation zog, bei der der kleine Akku kaum gefragt war, der aber auch dermaßen ineffizient lief, dass selbst mit dem großen Speicher die Reichweite lausig war.

Der große Akku zehrt natürlich an der Nutzlast

Das soll jetzt alles besser werden: Die 150 kW starke Synchronmaschine an der Vorderachse bietet auch 410 Nm aus dem Stand auf, verzögert in vier Stufen per Lenkradpaddel fein modulierbar, dass man meist auf Beibremsungen wohl verzichten kann. Nur nicht auf die finale Bremsung vor der Ampel, denn One-Pedal-Drive gibt es leider nicht. Und der E-Ducato (Boxer-Jumper-Movano) kriecht auch wie eine Automatik los, sobald der Fuß vom Bremspedal geht. Ein riesiger Fortschritt gegenüber der arg „improvisierten“ ersten Generation ist schließlich auch die Integration sämtlicher Infotainment- und Sicherheitsfeatures, die dem modernen Antrieb jetzt wirklich gerecht werden, einschließlich dem serienmäßigen Digital-Instrument sowie dem 10-Zoll-Infotainment, elektrischer Parkbremse und natürlich Keyless Start ohne den „Zündschlüssel“.

Auch bei Performance und Handling will man auf Augenhöhe mit dem aktuellen Maßstab Ford E-Transit kommen. Und ihm trotz größerem Akku auch preislich Paroli bieten, wie Marengo frech ankündigt. Bis zu 15.000 Euro günstiger soll der neue E-Ducato zum freilich sündteuren Vorgänger sein. Außerdem integriert man die Anhängeroption mit bis zu 2,4 Tonnen Zuglast, die es zuvor gar nicht gab. Gut so, denn die Nutzlast ist mit dem Monsterakku eher auf Schrumpfkurs: 700 Kilogramm sollen im 3,5-Tonner bleiben, dann doch 600 Kilo (und das Akkugewicht) weniger als der Diesel.

Nur mit 4,25 Tonnen in der Nutzlast auf Augenhöhe

Aber man hat ja noch die Wahl des 4,25-Tonners, der gemäß Sonderregel ebenfalls mit dem B-Führerschein gefahren werden darf. Dann allerdings nicht mit 130 km/h wie die 3,5-Tonnen-Version, sondern mit 90 km/h. Der Vorgänger war übrigens generell auf 110 km/h limitiert. Apropos Autobahn-tauglich: Mit der neuen Elektronik-Architektur ziehen auch sämtliche Fahrerassistenten ein, die es auch für die Pkw gibt, mit aktivem Spurhalter, Abstandstempomaten und Stauassistent rollt der große E-Van dann auf Level 2 des automatisierten Fahrens. Wer will kann zudem einen digitalen Rückspiegel ordern, trotz der noch immer kompakten Abmessungen des italienischen Dauerbrenners.
 

Umrüstlösung für ältere Diesel von Qinomic

Wem das möglicherweise zu viel des Guten ist und das nötige Kleingeld für einen neuen E-Van fehlt: Auch hier will Stellantis über das hauseigene Venture Qinomic hilfreich sein, wo man ein erschwinglichen Retrofit für ältere Diesel-Transporter anbieten will, dann mit kleinerem Akku – eine perfekte Ergänzung, wie die Verantwortlichen werben.

Noch schwerer wird es übrigens für den energetisch weit ineffizienteren Hydrogen-Ducato, wenn man die neue Ladetechnik des E-Duc in Betracht zieht: Bei 150 kW im DC-Verfahren zieht der Stromvan von 0 auf 80 Prozent in einer Stunde, eine halbe Stunde dürfte für 15-80 Prozent genügen. In AC begnügt man sich mit 11 kW. Leider sitzt die Ladeklappe weiterhin etwas unpraktisch anstelle des Tankstutzens. Und eine Wärmepumpe sucht man einstweilen auch vergebens.

City- und Kompaktvans noch ohne den neuen Effizienzantrieb

Weniger verändert hat sich dagegen bei den optisch und konnektiv kräftig gelifteten Kompaktvans und City-Vans aus dem Stellantis-Haus: Denn der chronisch ineffiziente E-Antrieb von Vitesco der ersten Generation (EMR3) wurde eben nicht ersetzt durch den brandneuen Konzernantrieb EMR4, der trotz nahezu gleicher Akkukapazität von 51 kWh jetzt auch dank komplett neuer Zellchemie deutlich performanter gewesen wäre. Den „Nutzis“ bleibt dieser Sprung wohl noch vorenthalten. Schade, so reicht es mit dem alten 50-kW-Package nur zu 330 statt 285 Kilometer Reichweite beim City-Van. Beim Midsize-Van sind es 224 Kilometer, zudem kommt weiterhin eine 75-kWh-Variante alternativ zum Einsatz, die es dann auf 350 Kilometer (vorher 328 km) bringen sollte. Wohl auch dadurch, dass serienmäßig eine effiziente Wärmepumpe verbaut ist. Im Winter bracht die alte Version oft hoffnungslos ein, sobald die Grade sanken. Weniger als möglich fährt man im Falle des Midsize-Vans also die Lücke zum Hydrogen-Van zu, mit seinen kombinierten 400 Kilometer Reichweite.

Digitales Update im Interieur, mehrstufige Rekuperation

Ladetechnisch bleibt es ohnehin bei den brauchbaren 100 kW DC und 11 kW AC. Die Performance war ohnehin in Ordnung, das ist bei Nutzfahrzeugen nicht das große Thema. Leistung: Genug. Es bleibt daher auch bei 260 Nm, die aus dem Stand anliegen und die beiden E-Vans weiterhin hurtig auf Tempo bringen. Und es gibt wie beim großen E-Van jetzt eine vierstufige Rekuperation per Lenkradpaddel, die von „Segeln“ bis „Stramm“ alles bietet, was die verschiedenen Situationen erfordern. Nur eben beim Vollstopp darf man die Bremse nicht vergessen. Apropos: Wie beim E-Ducato ist die elektrische Parkbremse selbstverständlich. Und wie dort sind auch hier jetzt Digital-Instrumente und das neue, viel schärfere Konzerninfotainment so selbstverständlich wie eine wireless Smartphone-Verbindung sowie Laden oder ein Digital-Rückspiegel, ein wichtiges Update im Vergleich zu den arg altbackenen Vorgängern. Den Fahrmodus muss man allerdings immer noch mit dem trägen Schieberegler einlegen.

ePTO: Plug & Play-Lösung für Kühler & Co

Ein Clou am City- und am Midsize-Van ist die neue ePTO zum Betrieb von Nebenverbrauchern, die es auf 5 kW Leistung bringen soll. Aggregate wie etwa der Thermo-King-Kühler am Lamberet-Vorführfahrzeug mit 5-Kubik-Kühlkoffer auf dem elektrischen Kompakt-Fahrgestell lassen sich damit unkompliziert per „plug & play“ anschließen und elektrisch betreiben. Und zwar dank der effizienten TK-Maschine locker eine Lieferschicht: Um fünf bis zehn Prozent soll die Reichweite schrumpfen, wenn man im Tiefkühlmodus unterwegs ist. Clever ist die „Key-Off“-Funktion, die bis zu 15 Minuten im Stand den Kühler weiterbetreibt, etwa wenn der Fahrer eine Adresse beliefert. Das wichtigste: Die ePTO soll als normale Option nicht mehr als 500 Euro kosten. Vorher waren hier aufwändige Extra-Akkus fällig – und ein happiger Aufschlag für einen E-Kühlausbau von locker 15.000 Euro, wie die Verantwortlichen von Lamberet für die Lösung werben, die man gemeinsam mit Thermo King und Stellantis entwickelt hat.  

Boomende Lieferdienste: Eigenständiges Zustellfahrzeug ab Werk

Weil wir schon bei Spezialitäten sind: Den größten Zuwachs sehen die Verantwortlichen aktuell bei den Lieferdiensten – und hier weniger bei Mikro-Vans wie dem einstigen Fiorino (einst für Briefdienste gedacht) oder pfiffigen LEV-Lösungen wie dem eher beiläufig präsentierten, gleichwohl quadratisch-praktischen 48-Volt-Zwerg Opel E-Rocks Cargo, sondern mehr in der großen Klasse: 30 Prozent sichern sich hier die „Large Vans“, bei Stellantis sind es sogar 35 Prozent der großen Transporter, die als Zusteller verwendet werden. Weswegen man ein dediziertes Lieferfahrzeug für die „Amazons dieser Welt“ aufgelegt hat, das statt der konventionellen Schiebetür eine Beifahrerschiebetür einzieht, inklusive Platzgewinn von 1,1 Meter für Regalausbauten oder 1,3 Kubikmeter im Fond. Der ist per weiterer Schiebetür von der Fahrerkabine aus zugänglich, am Heck gibt es ein praktisches Rollo, das den gewohnt geräumigen, per LED-Automatik taghell ausgeleuchteten Laderaum über eine griffige Trittstufe, gesichert mit zwei soliden Handläufen erschließt. Das alles in vollelektrisch und ab Werk, das Package könnte passen, sofern man für ausreichend Nutzlast die 4,25-Tonnen-Version wählt.

Digitale Dienste sollen Serviceeinbußen kompensieren

Weil das ein volumenträchtiges Segment ist, könnte die Elektrifizierungs-Ambition von Stellantis also durchaus realistisch sein. Klar, gesteht Imparato zu, bei Aftersales und Service verliert man zwar 30 bis 50 Prozent Umsatz, weil die E-Vans naturgemäß deutlich weniger Wartungsaufwand verursachen – und zudem künftig per vernetzter Dienste nebst vorausschauender Wartung noch viel weniger. Das ist aber zugleich ein unschätzbarer Kundenvorteil im Hinblick auf die Gesamtbetriebskosten, die die E-Mobilität schnell rentabel machen soll. Und zum anderen sieht man noch so viel Eroberungspotenzial und zugleich Einsparpotenzial in Sachen Digitalisierung, Personal und Shopflächen, dass Imparato hier nicht schwarzsehen will. Zudem setzt man auf neue Geschäftsfelder wie gebrauchte Fahrzeuge, Van-Abos und neue digitale Dienste, die mal fünf Milliarden Euro zum Umsatz beitragen sollen. Wie gesagt, ohne Ambitionen verlief der große Tag in Balocco nicht.  

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